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Das Foucaultsche Pendel

Das Foucaultsche Pendel

Titel: Das Foucaultsche Pendel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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sie, »ich möchte raus.«
    Agliè bemerkte den Zwischenfall und half mir, sie hinaus-zubegleiten. Die Abendluft tat ihr gut. »Es ist nichts«, sagte sie. »Ich muß irgendwas gegessen haben. Und dann diese Gerüche, diese Hitze...«
    »Nein«, sagte der Pai-de-santo, der uns gefolgt war. »Es ist, weil Sie mediale Eigenschaften haben. Sie haben gut auf die Pontos reagiert, ich habe Sie beobachtet.«
    »Schluß damit!« rief Amparo und fügte ein paar Worte in einer mir unbekannten Sprache hinzu. Ich sah den Pai-de-santo erbleichen, oder grau werden, wie es in den alten Abenteuerromanen heißt, wenn Dunkelhäutige erbleichen.
    »Schluß, mir ist schlecht, ich hab was Falsches gegessen...
    Bitte, laßt mich ein bißchen frische Luft schnappen, geht ihr wieder rein. Ich warte hier draußen, ich bin nicht krank!«
    Wir gaben nach und ließen sie draußen, aber als ich wieder hineinkam, nach der Unterbrechung im Freien, wirkten die Trommeln, die schwere Luft, der scharfe Schweißgeruch, der jetzt allen Leibern entströmte, wie ein Schluck Alkohol auf einen, der nach langer Abstinenz wieder zu trinken anfängt.
    Ich faßte mir an die Stirn, und ein alter Mann reichte mir ein agogõ, ein kleines vergoldetes Instrument, eine Art Triangel mit Schellen, die man mit einem metallenen Stäbchen schlug.
    »Steigen Sie aufs Podium«, sagte er. »Spielen Sie, das wird Ihnen guttun.«
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    Es lag eine homöopathische Weisheit in diesem Rat Ich schlug das Agogõ, bemüht, mich dem Rhythmus der Trommeln anzupassen, und langsam trat ich in das Geschehen ein, wurde ein Teil davon, beherrschte es durch Teilnahme, vertrieb meine innere Anspannung durch Bewegungen meiner Beine und Füße, befreite mich von dem, was mich umgab, indem ich es provozierte und ermunterte. Später sagte Agliè mir einiges über den Unterschied zwischen Erkennen und Erleiden.
    Während die Medien nach und nach in Trance fielen, führten die Cambonos sie an die Ränder des Saales, ließen sie riedersetzen und boten ihnen Zigarren und Pfeifen an. Diejenigen Gläubigen, denen kein Besuch zuteil geworden war, strömten herbei, knieten vor ihnen nieder, flüsterten ihnen ins Ohr, hörten auf ihre Ratschläge, empfingen ihren wohl-tuenden Einfluß, ergossen sich in Bekenntnissen und gewan-nen daraus Erleichterung. Einige deuteten einen Anflug von Trance an, den die Cambonos maßvoll ermunterten, um sie dann entspannter in die Menge zurückzuführen.
    Auf der Tanzfläche bewegten sich noch viele Kandidaten für die Ekstase. Die Deutsche zuckte krampfhaft in der Hoffnung, verzückt zu werden, aber vergeblich. Einige waren offensichtlich von Exu gepackt worden: Sie zeigten einen bösen, tückischen, hinterhältigen Ausdruck und bewegten sich ruckhaft voran.
    Da aber sah ich Amparo.
    Heute weiß ich, daß Chessed nicht nur die Sefirah der Gnade und der Liebe ist. Wie Diotallevi sagte, ist sie auch der Moment der plötzlichen Expansion des göttlichen Wesens, das sich ausdehnt zu seiner unendlichen Peripherie. Sie ist Sorge der Lebenden für die Toten, aber irgendwer muß auch gesagt haben, daß sie zugleich Sorge der Toten für die Lebenden ist.
    Ich hatte, während ich das Agogõ schlug, nicht mehr auf das Geschehen im Saal geachtet, da ich ganz darauf konzentriert war, meine Selbstkontrolle zu artikulieren und mich der Musik zu überlassen. Amparo mußte schon vor einer Weile wieder hereingekommen sein, und sicher hatte sie dieselbe Wirkung verspürt wie ich zuvor. Aber niemand hatte 254
    ihr ein Agogõ gegeben, und vielleicht hätte sie nun auch keins mehr gewollt. Von tiefen inneren Stimmen gerufen, hatte sie jeden Abwehrwillen abgelegt.
    Ich sah sie mitten auf die Tanzfläche stürmen, plötzlich innehalten, das Gesicht unnatürlich emporgereckt, den Hals fast starr, dann selbstvergessen sich einer lasziven Sarabande überlassen, mit Handbewegungen, als wollte sie ihren Körper anbieten. A Pomba Gira, a Pomba Gira! riefen einige, froh über das Wunder, denn an diesem Abend hatte sich die Teufelin noch nicht manifestiert: O seu manto é de veludo, rebordodo todo em ouro, o seu garfo é de prata, muito grande é seu tesouro... Pomba Gira das Almas, vem toma cho cho...
    Ich wagte nicht einzugreifen. Vielleicht beschleunigte ich die Schläge mit meinem metallenen Stäbchen, um mich kör-perlich mit meiner Geliebten zu vereinigen, oder mit dem chthonischen Geist, den sie verkörperte.
    Die Cambonos nahmen sich ihrer an, streiften ihr das rituelle Gewand über, stützten

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