Das Foucaultsche Pendel
machtvolles Mantra verwandle und harmonische Strömungen in der Seele hervorrufe durch die Siakra oder den Frontalen Plexus.
»Was ist Frontaler Plexus?« fragte Amparo. »Eine unheilbare Krankheit?«
Bramanti präzisierte, man müsse stets unterscheiden zwischen den wahren »Rose-Croix«, den Erben der Großen Wei-
ßen Bruderschaft, die selbstverständlich geheim blieben, wie jener Alte und Angenommene Orden, den er unwürdiger-weise zu vertreten die Ehre habe, und den »Rosicrucianern«, das heiße all denen, die sich aus persönlichen Gründen an der rosenkreuzerischen Mystik inspirierten, ohne darauf ein Recht zu haben. Er empfahl dem Publikum, keinem Rosicrucianer Glauben zu schenken, der sich als Rose-Croix bezeichne.
Amparo murmelte, jeder Rose-Croix sei der Rosicrucianer des anderen.
Schließlich meldete sich ein vorlauter Zuhörer und wollte wissen, wie der Herr Professor behaupten könne, daß sein Orden authentisch sei, wenn er hier das Schweigegebot verletze, das doch so kennzeichnend sei für jeden wahren Adepten der Großen Weißen Bruderschaft.
Bramanti stand auf und sagte: »Ich wußte nicht, daß sich auch hier Provokateure eingeschlichen haben, die im Solde des atheistischen Materialismus stehen. Unter solchen Bedingungen rede ich nicht weiter.«
Sprach’s und verließ den Raum mit einer gewissen Würde.
Am Abend rief Agliè an, um sich nach unserem Wohlerge-hen zu erkundigen und uns mitzuteilen, daß wir am nächsten Abend endlich an einem Ritus teilnehmen dürften. Ob ich nicht Lust hätte, in Erwartung des Ereignisses etwas mit ihm trinken zu gehen. Amparo hatte eine politische Zusam-menkunft mit ihren Freunden, und so ging ich allein zu dem Treffen.
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Valentiniani... nihil magis curant quam occultare quod praedicant: si tamen praedicant, qui occul-tant... Si bona fide quaeres, concreto vultu, sus-penso supercilio — altum est — aiunt. Si subtiliter tentes, per ambiguitates bilingues commu-
nem fidem affirmant. Si scire te subostendas,
negant quidquid agnoscunt... Habent artificium
quo prius persuadeant, quam edoceant. *
Tertullian, Adversus Valentinianos
Agliè lud mich in eine Bar ein, wo man noch eine batida zu machen verstand, wie es nur die Uralten konnten. Wir verließen mit wenigen Schritten die Zivilisation Carmen Mirandas, und ich fand mich in einer Spelunke wieder, wo Eingeborene schwarze Glimmstengel rauchten, die fett wie Würste glänzten. Der Tabak war zusammengedreht in Form alter Seemannstaue, man drehte die Taue zwischen den Fingerspitzen, löste breite durchsichtige Blätter ab und rollte sie in öliges Strohpapier ein. Die Dinger mußten oft neu angezündet werden, aber ich begriff, was Tabak gewesen sein mußte, als Sir Walter Raleigh ihn entdeckte.
Ich erzählte Agliè von meinem Erlebnis am Nachmittag.
»Nun also auch die Rosenkreuzer? Ihr Wissensdurst ist wahrhaft unersättlich, mein Freund. Aber hören Sie nicht auf diese Narren. Die reden alle von unwiderleglichen Dokumenten, aber keiner hat jemals eins davon vorgezeigt. Ich kenne diesen Bramanti. Er wohnt in Mailand, wenn er nicht gerade durch die Welt reist, um sein Evangelium zu verkün-
* Die Valentinianer... haben keine größere Sorge als zu verheimlichen, was sie predigen — wenn sie denn predigen, diese Heimlichtuer... Fragt man sie guten Glaubens, so sagen sie mit hartem Gesicht und hochgezogenen Augenbrauen: »Es ist erhaben.« Versucht man es auf subtile Weise, so beteuern sie mit doppelzüngigen Zweideutigkeiten den gemeinsamen Glauben. Läßt man durchblicken, daß man Bescheid weiß, so streiten sie alles ab, was sie jemals anerkannt hatten... Ihr Trick ist, daß sie mehr überreden als unterrichten.
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den. Er ist harmlos, aber er glaubt noch an Kiesewetter. Le-gionen von Rosenkreuzern stützen sich auf jene Stelle im Theatrum Chemicum. Aber wenn Sie nachschlagen — und in aller Bescheidenheit, das Buch steht in meiner kleinen Mailänder Bibliothek —, werden Sie das Zitat nicht finden.«
»Ein Schelm, dieser Herr Kiesewetter.«
»Aber alle zitieren ihn. Denn auch die Okkultisten im neunzehnten Jahrhundert waren Opfer des Positivismus: wahr ist nur, was sich beweisen läßt. Nehmen Sie nur die Debatte über das Corpus Hermeticum. Als es im fünfzehnten Jahrhundert nach Europa kam, sahen Pico della Mirandola, Ficino und viele andere kluge Leute sofort die Wahrheit: Es mußte das Werk einer uralten Weisheit sein, älter als die Ägypter, älter sogar als Moses, denn es
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