Das Foucaultsche Pendel
zusammen. Er schien sich nicht zu wundern über die Versammlung von Hierophanten, die er da vor sich sah, in den letzten Tagen mußte er sich daran gewöhnt haben, auf alles gefaßt zu sein.
Allerdings war er nicht darauf gefaßt, plötzlich das Pendel vor sich zu sehen, nicht in dieser Position. Doch die beiden Riesen schleppten ihn vor den Stuhl Agliès. Vom Pendel hörte er jetzt nur das leise Sausen, das es hinter ihm machte, wenn es vorbeischwang.
Einen Moment lang drehte er sich um, und da sah er Lorenza. Er fuhr zusammen, wollte sie anrufen, versuchte sich zu befreien, aber Lorenza, die ihn stumpf anstarrte, schien ihn nicht zu erkennen.
Im selben Moment erhob sich aus dem hinteren Teil des Kirchenschiffs, wo die Kasse und die Büchertische waren, ein Trommelwirbel, begleitet von schrillen Flötentönen. Mit einem Schlag öffneten sich die Türen von vier Automobilen, und heraus kamen vier Wesen, die ich ebenfalls schon auf dem Plakat des Petit Cirque gesehen hatte.
Ein Filzhut ohne Krempe, wie ein Fez, weite schwarze, bis zum Hals geschlossene Mäntel: Les Derviches Hurleurs ent-stiegen den Automobilen wie Auferstandene aus ihren Grä-
bern und begaben sich an den Rand des Magischen Kreises, wo sie sich niederhockten. Die Flöten im Hintergrund into-nierten jetzt eine sanfte Melodie, während die Derwische 701
ebenso sanft die Hände auf den Boden schlugen und den Kopf beugten.
Aus der Kanzel des Breguet-Flugzeugs erhob sich, wie ein Muezzin auf dem Minarett, ein fünfter Heulender Derwisch und begann zu psalmodieren, in einer mir unbekannten Sprache, seufzend, klagend, mit schrillen Tönen, indes die Trommeln wieder lauter zu wirbeln begannen.
Madame Olcott beugte sich hinter die Gebrüder Fox und flüsterte ihnen etwas ins Ohr. Die drei versanken in ihren Armsesseln, die Hände fest um die Lehnen geklammert, die Augen geschlossen, und begannen zu schwitzen und heftig mit allen Gesichtsmuskeln zu zucken.
Madame Olcott wandte sich an die Versammlung der Würdenträger. »Jetzt werden meine drei braven Brüderchen drei Personen herholen, die Wissende waren.« Sie machte eine Pause, dann verkündete sie: »Edward Kelley, Heinrich Khunrath und...«, erneute Pause, »der Graf von Saint-Germain.«
Zum erstenmal sah ich Agliè die Selbstbeherrschung verlieren. Er sprang von seinem Stuhl auf, und schon das war ein Fehler. Dann stürzte er sich der Frau entgegen — beinahe nur zufällig stieß er nicht mit dem Pendel zusammen —
und schrie: »Viper, Lügnerin, du weißt genau, daß es nicht sein kann...« Und zu der Menge gewandt: »Schwindel! Betrug! Stoppt sie!«
Aber niemand rührte sich, im Gegenteil, Pierre ging hin, setzte sich auf den Stuhl und sagte: »Bitte sehr, fahren Sie fort, Madame.«
Agliè faßte sich wieder. Er gewann seine Kaltblütigkeit zurück, trat beiseite zwischen die Zuschauer und sagte herausfordernd: »Na los, sehen wir’s uns an.«
Madame Olcott hob den Arm, als gäbe sie das Startzeichen zu einem Rennen. Die Musik wurde immer lauter und hektischer, zerfiel in eine Kakophonie von Dissonanzen, die Trommeln wirbelten ohne Rhythmus, die Derwische, die schon begonnen hatten, den Oberkörper vor- und zurückzu-bewegen, nach rechts und nach links, sprangen auf, warfen die Mäntel ab und hielten die Arme starr ausgebreitet, als wollten sie zum Fluge abheben. Nach einem Moment der Reglosigkeit begannen sie sich auf einmal wirbelnd um sich selbst zu drehen, wobei sie den linken Fuß als Achse benutz-702
ten, das Gesicht hochgereckt, konzentriert und versunken, während ihre plissierten Jäckchen sich glockenförmig zu den Pirouetten erhoben, so daß sie aussahen wie Blumen in einem Wirbelwind.
Inzwischen hatten die drei Fox-Brüder sich gleichsam zusammengezogen, verkrampft hockten sie auf ihren Stühlen mit angestrengten, verzerrten Gesichtern, als wollten sie den Darm entleeren und könnten nicht, schwer atmend. Die Glut im Kohlebecken war schwächer geworden, und die Akolythen der Madame Olcott hatten alle am Boden stehenden Laternen gelöscht. Die Kirche wurde nur noch von matten Schein der Laternen im Langschiff erleuchtet.
Und langsam, Schritt für Schritt, ereignete sich das Wunder. Auf den Lippen von Theo Fox erschien etwas wie ein weißlicher Schaum, der sich zusehends verdeckte, und ein ähnlicher Schaum erschien mit leichter Verzögerung auf den Lippen seiner zwei Brüder.
»Gut, Brüder, weiter so«, raunte Madame Olcott ihnen ermunternd ins Ohr, »weiter, weiter,
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