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Das Foucaultsche Pendel

Das Foucaultsche Pendel

Titel: Das Foucaultsche Pendel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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großen Saal, die Wände bedeckt mit Bildern, vor allem Votivbildern, und afrikanischen Masken. Agliè erklärte uns die Einrichtung: hinten die Bänke für die Nichtinitiierten, an den Seiten das Podium für die Instrumente und die Sessel der Ogãs. »Die Ogãs sind angesehene Personen, nicht unbedingt Gläubige, aber den Kult respek-tierende Bürger. Hier in Bahia ist der goße Jorge Amado Ogã in einem Terreiro. Er wurde von Iansã erwählt, der Herrin 216
    des Krieges und der Winde...«
    »Aber woher kommen all diese Gottheiten?« fragte ich.
    »Das ist eine komplizierte Geschichte. Zunächst einmal gibt es einen sudanesischen Zweig, der im Nordosten Wurzeln geschlagen hat, schon seit den Anfängen des Sklaven-tums, und daher kommt der Candomblé der Orixás, das heißt der afrikanischen Gottheiten. In den Staaten des Sü-
    dens überwiegt der Einfluß der Bantustämme, und hier beginnen Vermischungen in Kettenreaktion. Während die Kulte im Norden den alten afrikanischen Religionen treu bleiben, entwickelt sich im Süden die ursprüngliche Macumba zum Umbanda, beeinflußt vom Katholizismus, vom Spiritismus à la Kardec und ähnlichen europäischen Okkultis-men...«
    »Dann kommen heute abend keine Templer mit rein?«
    »Die Templer waren eine Metapher. Auf jeden Fall werden sie heute abend keine Rolle spielen. Aber der Synkretismus hat eine sehr subtile Mechanik. Haben Sie vorhin draußen an der Tür, nahe den comidas de santo, eine kleine Figur aus Eisen gesehen, so eine Art Teufelchen mit Dreizack und mit Votivgaben vor den Füßen? Das ist der Exu, der im Umbanda sehr mächtig ist, aber nicht im Candomblé. Dennoch wird er auch im Candomblé verehrt, man betrachtet ihn als einen Boten, eine Art degenerierten Merkur. Im Umbanda wird man von Exu besessen, hier nicht Aber man behandelt ihn zuvorkommend, schließlich weiß man ja nie. Sehen Sie dort an der Wand...«, er deutete auf zwei bemalte Figuren, einen nackten Indio und einen alten, weißgekleideten Negerskla-ven, der sitzend die Pfeife rauchte: »Das sind ein caboclo und ein preto velho, Geister Verstorbener, die in den Umbanda-Riten eine sehr wichtige Rolle spielen. Was tun sie hier? Sie nehmen Ehrbezeigungen entgegen, sie werden nicht angerufen, da der Candomblé nur Beziehungen zu den afrikanischen Orixás unterhält, aber sie werden auch nicht verleugnet.«
    »Was ist denn das Gemeinsame all dieser Kirchen?«
    »Nun, sagen wir, kennzeichnend für alle afro-brasilianischen Kulte ist, daß während des Ritus die Initiierten besessen sind, wie in Trance, besessen von höheren Wesen. Im Candomblé von den Orixás, im Umbanda von den Geistern der Verstorbenen...«
    217
    »Mein Gott, ich hatte mein Land und meine Rasse schon ganz vergessen«, sagte Amparo. »Ein bißchen Europa und ein bißchen historischer Materialismus haben mir alles aus-getrieben, dabei hatte ich diese Geschichten von meiner Großmutter gehört...«
    »Ein bißchen historischer Materialismus«, sagte Agliè lä-
    chelnd. »Mir scheint, ich habe davon schon gehört. Ein apokalyptischer Kult, begründet von diesem Trierer, nicht wahr?«
    Ich drückte Amparos Arm. »No pasarán*, mi amor.«
    »Cristo!« murmelte sie.
    Agliè hatte unseren halblauten Dialog mit angehört, ohne sich einzuschalten. »Die Potenzen des Synkretismus sind un-begrenzt, meine Liebe. Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen auch die politische Version dieser Geschichte liefern. Die Gesetze des neunzehnten Jahrhunderts geben den Sklaven die Freiheit wieder, aber im Bemühen, die Stigmata ihrer Sklaverei loszuwerden, verbrennen die Freigelassenen alle Archive des Sklavenhandels. Die Sklaven werden der Form nach frei, haben aber nun keine Vergangenheit mehr. Infolgedessen versuchen sie, eine kollektive Identität wiederzufinden, da sie die familiäre verloren haben. Sie kehren zu-rück zu den Wurzeln. Das ist ihre Art, sich — wie ihr Jungen heute sagt — den herrschenden Kräften zu widersetzen.«
    »Aber eben sagten Sie doch, daß sich diese europäischen Sekten da mit eingemischt haben«, sagte Amparo.
    »Meine Liebe, Reinheit ist ein Luxus, und die Sklaven nehmen sich, was sie kriegen. Aber sie rächen sich. Inzwischen haben sie schon mehr Weiße eingefangen, als Sie sich träumen lassen. Die afrikanischen Kulte hatten zu Anfang die gleiche Schwäche wie alle Religionen, sie waren örtlich begrenzt, stammesgebunden und kurzsichtig. Im Kontakt mit den Mythen der Eroberer haben sie ein uraltes Wunder reproduziert: sie haben

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