Das Foucaultsche Pendel
die antiken Mysterienkulte wieder zum Leben erweckt, die im zweiten und dritten Jahrhundert unserer Ära im Mittelmeerraum grassierten, zwischen einem Rom, das sich langsam zersetzte, und den Fermenten aus Persien, aus Ägypten, aus dem vorjüdischen Palästina...
* Sie werden nicht siegen. (Schlachtruf der Antifaschisten im spanischen Bürgerkrieg)
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In den Jahrhunderten des spätrömischen Reiches nahm Afrika die Einflüsse der gesamten mediterranen Religiosität in sich auf und bewahrte sie, verdichtete sie. Europa wurde verdorben vom Christentum der Staatsraison, Afrika kon-servierte ein Wissen, uralte Wissensschätze, wie schon zur Zeit der Ägypter, als es sie den Griechen schenkte, die sie dann verschluderten.«
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Es gibt einen Leib, der die ganze Welt umspannt, und stellt ihn euch vor in Form eines Kreises,
denn dies ist die Form des Alls... Nun stell dir vor, daß unter dem Kreis dieses Leibes die 36
Dekane sind, im Zentrum zwischen dem ganzen
Kreis und dem Tierkreis, die beiden Kreise trennend und gleichsam den Tierkreis begrenzend,
zum Tierkreis hinaufversetzt mitsamt den Plane-
ten... Der Wechsel der Könige, die Erhebung der Städte, die Hungersnöte, die Pest, der Rückfluß des Meeres, die Erdbeben, nichts von alledem
findet statt ohne den Einfluß der Dekane...
Corpus Hermeticum, Stobaeus, excerptum VI
»Aber was für ein Wissen?«
»Ist Ihnen klar, wie groß die Epoche zwischen dem zweiten und dritten Jahrhundert nach Christus war? Nicht wegen der Prunkentfaltung des Reiches, das sich schon im Niedergang befand, sondern wegen dessen, was derweilen im Mittelmeerraum florierte. In Rom schlachteten die Prätoria-ner ihre Kaiser ab, und im Mittelmeerraum blühte die Epoche des Apuleius, der Isis-Mysterien, jener großen Rückkehr der Spiritualität, die der Neuplatonismus und die Gnosis waren. Selige Zeiten, als die Christen noch nicht die Macht ergriffen hatten, um die Häretiker in den Tod zu schicken.
Glänzende Epoche, beseelt vom nous, durchzuckt von Eksta-sen, bevölkert von Präsenzen, Emanationen, Dämonen und Engelsscharen... Es ist ein diffuses Wissen, unzusammenhängend, uralt wie die Welt, ein Wissen, das weit zurück-reicht hinter Pythagoras, hinter die Brahmanen Indiens, die Juden, die Magier, die Gymnosophen und sogar hinter die Barbaren des äußersten Nordens, die Druiden Galliens und der Britannischen Inseln. Den Griechen galten die Barbaren als solche, weil sie sich nicht auszudrücken vermochten, mit diesen Sprachen, die in ihren überzüchteten Ohren wie Ge-220
bell klangen. Tatsächlich aber zeigte sich gerade in dieser Epoche, daß die Barbaren weit mehr wußten als die Helle-nen, und zwar eben deshalb, weil ihre Sprache undurchdringlich war. Glauben Sie, daß diejenigen, die heute abend tanzen werden, den Sinn all der Zauberformeln und magischen Namen kennen, die sie aussprechen werden? Zum Glück nicht, denn der unbekannte Name fungiert als Atem-
übung, als mystische Vokalisierung. Ah, die Epoche der Antonine... Die Welt war voll von wunderbaren Entsprechun-gen und subtilen Ähnlichkeiten, man mußte sie durchdringen, sich von ihnen durchdringen lassen, durch den Traum, das Orakel, die Magie, die es ermöglicht, auf die Natur ein-zuwirken und auf ihre Kräfte, indem man das Ahnliche mit dem Ahnlichen bewegt. Die Weisheit ist unfaßbar, flüchtig, sie entzieht sich jedem Maß. Deshalb war der dominante Gott in jener Epoche Hermes, der Erfinder aller Listen und Kniffe, der Gott der Kreuzwege und der Diebe, aber auch der Schöpfer der Schrift, einer Kunst des Ausweichens und des Differenzierens, der Seefahrt, die es zum Ende aller Grenzen zieht, wo alles am Horizont verschwimmt, der Kräne, die Steine vom Boden heben, und der Waffen, die das Leben in Tod verwandeln, und der Wasserpumpen, die schwere Materie leicht werden lassen, und der Philosophie, die vorspie-gelt und täuscht... Und wissen Sie, wo Hermes heute ist?
Hier, Sie haben ihn an der Tür gesehen, die Leute hier nennen ihn Exu, diesen Boten der Götter, diesen Vermittler, diesen Händler, der den Unterschied zwischen Gut und Böse nicht kennt.«
Agliè musterte uns mit amüsiertem Mißtrauen. »Sie glauben wohl, ich sei — wie Hermes mit den Waren — zu flink im Umverteilen der Götter. Sehen Sie dieses Büchlein hier, ich habe es heute morgen in einem Buchladen im Pelourinho gekauft. Magien und Mysterien des heiligen Cyprianus, Rezepte für Liebeszauber oder um den Feind sterben zu lassen,
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