Das Foucaultsche Pendel
hängt fest, während die Erde sich unter ihm dreht, wo immer es sich befindet. Jeder Punkt im Universum ist ein fester Punkt, man braucht nur das Pendel dranzuhängen.«
»Dann ist Gott überall?«
»In gewissem Sinn ja. Deshalb verwirrt mich das Pendel. Es verspricht mir das Unendliche, aber es lässt mir die Verantwortung, zu entscheiden, wo ich es haben will. Also genügt es nicht, das Pendel einfach da zu verehren, wo es ist, man muß auch hier wieder eine Entscheidung treffen und den besten Punkt suchen. Und doch ...«
»Und doch?«
»Und doch ... he, Casaubon, Sie nehmen mich doch nicht etwa ernst, oder? Nein, ich kann unbesorgt sein, wir sind Leute, die nichts ernst nehmen ... Und doch, sagte ich, das Gefühl ist: da hat man nun in seinem Leben das Pendel an so viele Stellen gehängt und nie hat es funktioniert, und dort im Pariser Conservatoire funktioniert es so gut ... Was, wenn es im Universum privilegierte Punkte gäbe? Hier vielleicht, an der Decke dieses Büros? Nein, das würde uns niemand glauben. Es braucht eine Atmosphäre. Ich weiß nicht, vielleicht sind wir ständig auf der Suche nach dem richtigen Punkt und vielleicht ist er uns ganz nahe, aber wir erkennen ihn nicht, und um ihn zu erkennen, müssten wir glauben ... Schluss jetzt, gehen wir zu Signor Garamond.«
»Um das Pendel aufzuhängen?«
»O sel'ge Narretei. Gehen wir ernsthafte Dinge tun. Um Sie bezahlen zu können, muß ich Sie dem Boss vorführen, damit er Sie sieht, Sie berühren und Sie beschnuppern kann und sagt, es wäre ihm recht. Kommen Sie, lassen Sie sich vom Boss berühren, seine Berührung heilt von der Krätze.«
38
Geheimer Meister, Vollkommener Meister, Geheimer Sekretär, Vorsteher und Richter, Intendant der Gebäude, Auserwählter Meister der Neun, Erlauchter Auserwählter der Fünfzehn, Groß-Architekt, Royal Arch oder Ritter des Königlichen Gewölbes von Salomo, Ritter des Ostens oder des Schwertes, Prinz von Jerusalem, Ritter vom Osten und Westen, Ritter vom Rosenkreuz oder Ritter des Adlers und des Pelikans, Hoher Priester oder Erhabener Schotte des Himmlischen Jerusalems, Ehrwürdiger Großmeister Aller Logen ad vitam, Preußischer Ritter oder Noachitischer Patriarch, Ritter der Königlichen Axt oder Prinz von Libanon, Prinz des Tabernakels, Ritter der Ehernen Schlange, Prinz der Barmherzigkeit oder der Gnade, Großer Komtur des Tempels, Ritter der Sonne oder Prinz-Adept, Groß-Schotte des Sankt Andreas von Schottland oder Großmeister des Lichtes, Großer Auserwählter Ritter Kadosch und Ritter vom Weißen und Schwarzen Adler.
Hochgrade der Freimaurerei nach Altem und Angenommenem Schottischen Ritus
Wir gingen durch den Flur, stiegen drei Stufen hinauf und passierten eine Mattglastür. Mit einem Schlag betraten wir eine andere Welt. Waren die Räume, die ich bisher gesehen hatte, dunkel, staubig und verkommen, so wirkten diese wie die VIP-Lounge eines Flughafens. Gedämpfte Musik, hellblaue Tapeten, ein komfortabler Wartesaal mit Designermöbeln, an den Wänden Fotografien, auf denen man Herren mit Abgeordnetengesichtern geflügelte Siegestrophäen an Herren mit Senatorengesichtern überreichen sah. Auf einem niedrigen Tischchen lagen, lässig hingestreut wie im Wartezimmer eines Zahnarztes, einige Hochglanzzeitschriften mit Titeln wie Der Literarische Spürsinn, Der Poetische Athanor, Die Rose und die Dornen, Parnassus Önotrius, Der Freie Vers. Ich hatte noch niemals eine davon gesehen, und später erfuhr ich auch den Grund: Sie wurden nur unter den Kunden des Hauses Manuzio vertrieben.
Wenn ich zunächst geglaubt hatte, in die Chefetage des Verlags Garamond gekommen zu sein, wurde ich rasch eines Besseren belehrt. Wir waren in den Räumen eines anderen Verlages. Im Vorraum von Garamond gab es eine dunkle, angelaufene Vitrine mit den Neuerscheinungen, aber die Bücher von Garamond waren bescheiden aufgemacht, mit nüchternen grauen Einbänden und noch unaufgeschnittenen Bögen — sie sollten an jene französischen Universitätspublikationen erinnern, bei denen das Papier nach wenigen Jahren vergilbt, damit der Eindruck entsteht, als habe der Autor, besonders wenn er noch jung ist, schon seit Langem publiziert. Hier dagegen stand eine andere Vitrine, die von innen erleuchtet war und die Bücher des Verlages Manuzio präsentierte, einige aufgeschlagen auf generös umbrochenen Seiten: strahlend weiße Umschläge, bezogen mit glänzendem Zellophan, sehr elegant, und feines Reispapier mit schönen
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