Das Foucaultsche Pendel
Großkopfeter dir etwas sagen will, so denke nicht, er sage dir etwas Frivoles, etwas Vulgäres, etwas Gemeines: sondern ein Geheimnis, ein Orakel...
Thomaso Garzoni, Il Theatro de vari e diverse cervelli mondani, Venedig, Zanfretti, 1583, Discorso XXXVI
Das Bildmaterial, das ich in Mailand und Paris gefunden hatte, genügte nicht. Signor Garamond genehmigte mir eine Reise nach München, zum Deutschen Museum.
Ich verbrachte einige Abende in den Bars von Schwabing — soll heißen in jenen immensen Krypten, wo ältere Herren mit Schnauzbart und kurzen Lederhosen Blechmusik oder Hackbrett spielen, während die Paare, dicht gedrängt eins neben dem andern sitzend, sich durch Rauchschwaden voller Schweinsbratendunst über riesigen Maßkrügen zulächeln — und die Nachmittage im Lesesaal mit der Durchsicht des Fotoarchivs. Ab und zu ging ich ins Museum hinüber, wo alles nachgebaut worden ist, was je ein menschliches Hirn hat erfinden können: Man drückt auf einen Knopf, und Dioramen von Ölfeldern beleben sich mit stampfenden Pumpen, man spaziert durch ein echtes Unterseeboot, man lässt die Planeten kreisen, man spielt Chemiefabrik und Atomkraftwerk... Ein weniger gotisches und ganz auf die Zukunft ausgerichtetes Conservatoire, bewohnt von lärmenden Schulklassen, die das Ingenium der Ingenieure lieben lernen.
Im Deutschen Museum lernt man auch alles über den Bergbau: Man steigt eine Treppe hinunter und betritt ein richtiges Bergwerk, komplett mit Stollen, Fahrkörben für Menschen und Pferde, engen Schläuchen, in denen ausgemergelte Kinder (aus Wachs, hoffe ich) kriechend ihre Fronarbeit verrichten. Man wandert durch endlose finstere Gänge, schaut in einen Brunnen ohne Boden, spürt die Kälte in den Knochen und meint beinahe das Grubengas zu riechen. Alles im Maßstab eins zu eins.
Ich gelangte in einen Seitengang, verlor schon die Hoffnung, das Tageslicht jemals wiederzusehen, und entdeckte am Rande eines Abgrunds jemanden, der mir bekannt vorkam. Das Gesicht hatte ich schon irgendwo gesehen, faltig und grau, mit weißem Haar und Eulenblick, aber mir war, als müsste er anders gekleidet sein, als hätte ich dieses Gesicht über einer Art Uniform gesehen, wie wenn man einen Priester nach langer Zeit in Zivil wiedersieht oder einen Kapuziner ohne Bart. Auch er sah mich an, auch er zögernd. Und wie es in solchen Fällen geschieht, nach einem Duell kurzer Blicke ergriff er die Initiative und begrüßte mich auf italienisch. Mit einem Mal konnte ich ihn mir in seiner Berufskleidung vorstellen — er brauchte nur einen langen gelblichen Kittel zu tragen und wäre der Signor Salon gewesen. A. Salon, Taxidermist, derselbe, der sein Labor direkt neben meinem Büro hatte, am selben Flur in der aufgelassenen Fabrik, wo ich den Marlowe des Wissens spielte. Ich war ihm ein paar mal auf der Treppe begegnet, und wir hatten uns kurz gegrüßt.
»Kurios«, sagte er, während er mir die Hand reichte, »da sind wir nun so lange schon Nachbarn und stellen uns hier in den Eingeweiden der Erde vor, tausend Meilen entfernt.«
Wir wechselten ein paar höfliche Sätze. Ich hatte den Eindruck, daß er recht genau wusste, was ich tat, und das war nicht wenig, bedenkt man, daß ich es nicht einmal selbst genau wusste. »Was tun Sie denn hier in einem Museum der Technik? In Ihrem Verlag beschäftigt man sich doch eher mit geistigen Dingen, scheint mir.«
»Woher wissen Sie das?«
»Och... « Er machte eine vage Geste. »Die Leute reden, ich bekomme viel Besuch... «
»Was für Leute kommen denn so zu einem Tierausstopfer? Pardon: zu einem Taxidermisten?«
»Alle möglichen. Sie werden sagen, wie's alle tun, das sei kein alltäglicher Beruf. Aber es mangelt mir nicht an Kunden, und sie kommen von überall her. Museumsleute, private Sammler.«
»Es passiert mir nicht oft, daß ich ausgestopfte Tiere in privaten Häusern sehe«, sagte ich.
»Nein? Das hängt davon ab, welche Häuser Sie frequentieren... Oder welche Keller.«
»Hält man sich ausgestopfte Tiere im Keller?«
»Manche tun es. Nicht alle Krippen stehen im Licht der Sonne — oder des Mondes. Ich misstraue zwar solchen Kunden, aber Sie wissen ja, die Arbeit... Ich misstraue den Untergründen.«
»Und deshalb spazieren Sie hier durch die Untergründe?«
»Ich kontrolliere. Ich misstraue den Untergründen, aber ich will sie begreifen. Es gibt ja nicht allzu viele Möglichkeiten. Die Katakomben von Rom, werden Sie sagen. Da gibt's kein Geheimnis mehr, die sind
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