Das Foucaultsche Pendel
Blüte sucht. Ich suchte nichts, war aber trotzdem aufgestanden und ließ mich von den Impulsen der Menge treiben. Ein paar mal sah ich Lorenza vorbeikommen, die herumstreunte und leidenschaftliches Wiedererkennen mit diesem und jenem fingierte: Kopf hoch, Blick gewollt kurzsichtig, Brust und Schultern gerade über einem wiegenden Giraffengang.
An einem bestimmten Punkt blockierte mich der natürliche Fluss in einer Ecke hinter einem Tisch, im Rücken von Lorenza und Belbo, die sich endlich getroffen hatten, vielleicht per Zufall, und gleichfalls blockiert waren. Ich weiß nicht, ob sie meine Anwesenheit bemerkt hatten, aber bei dem allgemeinen Lärm hörte ohnehin niemand mehr, was die anderen sagten. Sie betrachteten sich als allein miteinander, und ich war gezwungen, ihr Gespräch mit anzuhören.
»Also«, sagte Belbo, »wo hast du deinen Agliè kennengelernt?«
»Meinen? Auch deinen, nach dem, was ich heute gesehen habe. Du meinst wohl, nur du darfst Simon kennen und ich nicht. Na bravo!«
»Wieso nennst du ihn Simon? Weil er dich Sophia nennt?«
»Ach, das ist doch ein Spiel! Ich hab ihn bei Freunden kennengelernt, okay? Und ich finde ihn faszinierend. Er küsst mir die Hand, als ob ich eine Prinzessin wäre. Und er könnte mein Vater sein.«
»Pass auf, daß er nicht dein Kindsvater wird.«
Mir war, als hörte ich mich mit Amparo reden, in Bahia. Lorenza hatte recht — Agliè wusste, wie man einer jungen Frau die Hand küsst, die diesen Ritus nicht kennt.
»Wieso Simon und Sophia?« beharrte Belbo. »Heißt er Simon?«
»Also das ist 'ne tolle Geschichte. Hast du gewusst, daß unser Universum durch einen Irrtum entstanden ist und daß es ein bisschen meine Schuld war? Sophia war der weibliche Teil von Gott, weil damals war Gott mehr Frau als Mann, und ihr seid es dann gewesen, die ihm den Bart verpasst habt und ihn Er genannt habt. Ich war seine gute Hälfte. Simon sagt, ich wollte die Welt hervorbringen, ohne um Erlaubnis zu fragen, ich, die Sophia, die sich auch, warte mal... Ja: die Ennoia nennt. Ich glaube, mein männlicher Teil wollte nicht kreieren — vielleicht hatte er nicht den Mut dazu, vielleicht war er impotent —, na jedenfalls ich, statt mich mit ihm zusammenzutun, wollte die Welt alleine machen, ich konnte nicht widerstehen, ich glaube, es war aus zu großer Liebe, ja wirklich, ich liebe dieses ganze chaotische Universum. Deswegen bin ich die Seele dieser Welt. Sagt Simon.«
»Wie nett. Sagt er so was allen?«
»Nein, Dummkopf, nur mir. Weil er mich besser versteht als du, weil er nicht versucht mich nach seinem Idealbild zurechtzustutzen. Er begreift, daß ich das Leben auf meine Art leben muß. Und genauso hat's die Sophia gemacht, sie hat nicht lange gefragt sondern hat einfach angefangen, die Welt zu machen. Sie hat sich mit der Urmaterie besudelt, die ekelhaft war, ich glaub, die benutzte noch keine Deodorants, und es war nicht mit Absicht — aber ich glaube, sie war's, die Sophia, die dann den Dingsda gemacht hat, den Demo... wie heißt er noch gleich?«
»Meinst du den Demiurg?«
»Ja genau, den. Ich weiß nicht mehr, ob dieser Demiurg, ob den jetzt die Sophia gemacht hat oder ob er schon da war und sie ihn bloß aufgestachelt hat: He, Blödmann, los, mach die Welt, daß wir uns amüsieren können! Der Demiurg muß ein Chaot gewesen sein, er hat nämlich nicht gewusst, wie er die Welt ordentlich machen sollte, und er hätte sie eigentlich gar nicht machen dürfen, denn die Materie ist schlecht, und er war nicht befugt, die Hände da reinzustecken. Na jedenfalls hat er dann zusammengepfuscht, was er eben zusammengepfuscht hat, und die Sophia ist drin stecken geblieben. Als Gefangene der Welt.«
Lorenza redete schnell und trank viel. Alle paar Minuten, während in der Mitte des Saales schon viele mit geschlossenen Augen wippten und zuckten, kam Riccardo vorbei und goss ihr nach. Belbo versuchte ihn daran zu hindern, sagte, Lorenza hätte genug getrunken, aber Riccardo lachte und schüttelte bloß den Kopf, und sie rebellierte und behauptete, sie vertrüge den Alkohol besser als Jacopo, weil sie jünger sei.
»Okay, okay«, sagte Belbo. »Hör nicht auf Opa. Hör lieber auf Simon. Was hat er dir noch gesagt?«
»Na eben, daß ich die Gefangene dieser Welt bin, oder genauer, der bösen Engel... In dieser Geschichte sind nämlich die Engel böse und haben dem Demiurg geholfen, all das Chaos anzurichten... Und diese bösen Engel also, die halten mich fest und wollen mich
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