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Das Foucaultsche Pendel

Das Foucaultsche Pendel

Titel: Das Foucaultsche Pendel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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rübergekrochen waren, versteifte ich mich darauf, im Flur stehen zu bleiben. Das Fenster war am Ende, wir waren im ersten Stock, hier kann mich niemand treffen, sagte ich. Und fühlte mich wie der Kapitän, der aufrecht auf der Brücke steht, während ihm die Kugeln um die Ohren pfeifen. Dann wurde Onkel Carlo wütend, packte mich am Schlafittchen und zog mich rein, ich heulte los, weil das Vergnügen zu Ende war, und im selben Moment hörten wir drei scharfe Schläge und Scherbenklirren und eine Art Aufprall, als ob jemand draußen im Flur mit einem Tennisball spielte. Eine Kugel war durchs Fenster eingedrungen, war von einem Wasserrohr abgeprallt und hatte sich in den Boden gebohrt, genau an der Stelle, wo ich noch eben gestanden hatte. Wenn ich noch draußen gewesen wäre, hätte sie mich vielleicht gelähmt. Mindestens.«
    »O Gott, ich hätte dich nicht gerne lahm gehabt«, rief Lorenza.
    »Wer weiß, vielleicht wäre ich jetzt froh darüber«, sagte Belbo. Tatsächlich hatte er auch bei jener Gelegenheit keine Entscheidung getroffen. Er hatte sich von seinem Onkel reinziehen lassen.
    Ein Stündchen später schweifte er wieder ab. »Nach einer Weile ist dann Adelino Canepa nach oben gekommen. Er meinte, im Keller würden wir sicherer sein. Er und der Onkel hatten seit Jahren kein Wort miteinander gesprochen, ich hab's euch erzählt. Aber im Moment der Tragödie war Adelino wieder ein menschliches Wesen geworden, und der Onkel drückte ihm sogar die Hand. So verbrachten wir eine Stunde im Dunkeln zwischen den Fässern, in einem Geruch unzähliger Weinlesen, der uns ein bisschen zu Kopf stieg, und draußen krachten die Schüsse. Dann wurden die Salven spärlicher, das Krachen kam immer gedämpfter herauf. Wir begriffen, daß jemand auf dem Rückzug war, nur wussten wir noch nicht, wer. Bis wir dann schließlich durch ein Fenster, eben über unseren Köpfen, das zu einem Feldweg rausging, eine Stimme hörten, die im Dialekt sagte: ›Monssu, i’è d’la repubblica bele si?‹ «
    » Was heißt das?« fragte Lorenza.
    »Na ungefähr: ›Mein Herr, würden Sie bitte die Freundlichkeit haben, mir zu sagen, ob wir uns hier noch in den Gefilden der Repubblica Sociale Italiana befinden?‹ In jenen Zeiten, müsst ihr wissen, war repubblica ein hässliches Wort. Ein Partisan hatte einen Passanten gefragt, oder jemanden, der zum Fenster raussah, und folglich war der Feldweg wieder passierbar geworden und die Faschisten hatten sich verdrückt. Es wurde allmählich dunkel. Nach einer Weile erschienen sowohl mein Vater wie meine Großmutter, um jeder sein Abenteuer zu erzählen. Meine Mutter und Tante Caterina machten etwas zu essen, während Onkel Carlo und Adelino Canepa wieder feierlich schwiegen. Den ganzen restlichen Abend lang hörten wir in den Hügeln noch ferne Schüsse. Die Partisanen verfolgten die Flüchtenden. Wir hatten gesiegt.«
    Lorenza küsste ihn auf die Haare, und Belbo schniefte. Er wusste, daß er bloß durch kämpfende Mittelspersonen gesiegt hatte. In Wirklichkeit hatte er nur einen Film gesehen. Doch für einen Augenblick, als er den Querschläger draußen im Flur riskierte, hatte er in dem Film mitgespielt. Nur eben mal rasch, wie in Hellzapoppin' , wenn die Rollen vertauscht werden und ein Indianer zu Pferd auf einem Tanzfest erscheint und fragt, wohin sie gelaufen sind, und jemand sagt »dahin«, und er verschwindet in eine andere Geschichte.

56
    Im aufschwingen aber hat sie so kräfftig in ihr schöne Posaunen gestossen, das der gantze Berg davon erhallet, vnnd ich fast ein Viertelstund hernach mein eygen wort kaum mehr gehöret.
    Johann Valentin Andreae, Die Chymische Hochzeit Christiani Rosencreutz, Straßburg 1616, 2, p. 21
     
    Wir waren beim Kapitel über die Wunder der Wasserleitungen, und in einem frühbarocken Stich aus den Spiritalia von Heron sah man eine Art Altar mit einem Roboter darauf, der — kraft einer sinnreichen Dampfvorrichtung — Trompete spielte.
    Ich brachte Belbo erneut auf seine Kindheitserinnerungen: »Aber sagen Sie, wie war das mit diesem Don Ticho Brahe oder wie der hieß, der Ihnen das Trompetespielen beigebracht hatte?«
    »Don Tico. Ich habe nie erfahren, ob das ein Spitzname war oder ob er wirklich so hieß. Ich bin nie mehr ins Oratorium gegangen. Hingekommen war ich per Zufall — die Messe, der Katechismus, die vielen Spiele, und wer gewonnen hatte, kriegte ein Bildchen des seligen Domenico Savio, jenes Burschen mit zerknitterten Hosen aus grobem Leinen,

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