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Das Foucaultsche Pendel

Das Foucaultsche Pendel

Titel: Das Foucaultsche Pendel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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geträumt. Der Rest ist bloß Sex, Kopulation, Perpetuierung der infamen Saat... Na jedenfalls, wenn ich Trompete gespielt hätte, hätte Cecilia mich nicht übersehen können, ich stehend und strahlend, das elende Saxofon sitzend. Die Trompete ist kriegerisch, engelhaft, apokalyptisch, siegreich, sie bläst zur Attacke, das Saxofon lässt Vorstadtbubis mit Brillantinehaar tanzen, Wange an Wange mit schwitzenden Mädchen. Also lernte ich Trompeten, lernte wie ein Verrückter, bis ich schließlich vor Don Tico hintrat und sagte, hören Sie zu, und ich spielte wie Oscar Levant bei der ersten Probe am Broadway mit Gene Kelly. Und Don Tico sagte: Du bist ein Trompeter. Aber... «
    »Wie dramatisch!« sagte Lorenza. »Erzähl weiter! Spann uns nicht so auf die Folter!«
    »Aber ich musste jemanden finden, der mich am Baryton ersetzte. Sieh zu, wie du's schaffst, hatte Don Tico gesagt, arrangier dich. Und ich arrangierte nich. Ihr müsst nämlich wissen, meine lieben Kinderlein, in *** lebten damals zwei törichte Knaben, Klassenkameraden von mir, obschon sie zwei Jahre älter waren als ich, was euch einiges über ihre Lernfähigkeiten sagt. Diese beiden Esel hießen Annibale Cantalamessa und Pio Bo. Eins: historisch.«
    »Was?« fragte Lorenza.
    Ich erklärte, komplizenhaft: »Wenn Emilio Salgari in einem seiner Romane eine wahre Tatsache berichtet (oder eine, die er für wahr hielt) sagen wir, daß Sitting Bull nach der Schlacht am Little Big Horn das Herz des Generals Custer verzehrte —, dann macht er am Ende der Episode eine Fußnote, und die lautet: 1. Historisch.«
    »Genau«, sagte Belbo. »Und es ist historisch gesichert, daß Annibale Cantalamessa und Pio Bo so hießen, und das war nicht mal das Schlimmste an ihnen. Sie waren Faulpelze, sie klauten Comics am Zeitungskiosk, sie klauten Patronenhülsen von denen, die sich eine schöne Sammlung angelegt hatten, und sie legten das Salamibrötchen auf das Buch der Abenteuer zu Land und zur See, das man ihnen geborgt hatte, nachdem man es gerade erst nagelneu zu Weihnachten geschenkt gekriegt hatte. Der Cantalamessa nannte sich Kommunist, der Bo Faschist, aber beide waren bereit, sich für eine Zwille an den Gegner zu verkaufen, sie erzählten schlüpfrige Geschichten, mit ungenauen anatomischen Kenntnissen, und sie stritten sich um die Wette, wer am Abend zuvor länger masturbiert hätte. Sie waren zu allem bereit, warum also nicht auch zum Baryton? So beschloss ich, sie zu verführen. Ich pries die Uniform der Musikanten vor ihnen, ich nahm sie mit zu den Auftritten, ich versprach ihnen amouröse Erfolge bei den Töchtern Mariens... Sie gingen ins Netz. Ich verbrachte die Tage mit ihnen im kleinen Theater, mit einem langen dünnen Rohrstock, wie ich ihn in den Illustrationen der frommen Bändchen über die Missionare gesehen hatte, und gab ihnen kleine Schläge auf die Finger, wenn sie eine Note falsch spielten — das Baryton hat nur drei Ventile, man bewegt die drei mittleren Finger, aber ansonsten ist alles eine Frage des richtigen Ansatzes, wie ich schon sagte. Nun, ich will euch nicht länger hinhalten, meine lieben kleinen Zuhörer: Es kam der Tag, da ich Don Tico zwei Barytonisten präsentieren konnte, sie waren nicht gerade perfekt, aber zumindest beim ersten Vorspiel, das wir an end- und schlaflosen Nachmittagen eingeübt hatten, waren sie akzeptabel. Don Tico nahm sie, steckte sie in die Uniform und gab mir die Trompete. Und noch in derselben Woche beim Fest der Maria Ausiliatrice zur Eröffnung der Theatersaison mit dem Stück Der kleine Pariser, vor geschlossenem Vorhang und vor den versammelten Autoritäten der Stadt, stand ich auf und spielte den Anfang von Buon Principio. «
    »Fantastisch!« rief Lorenza, das Gesicht ostentativ überströmt von zärtlicher Eifersucht. »Und Cecilia?«
    »War nicht da. Vielleicht war sie krank, was weiß ich? Sie war nicht da.«
    Belbo sah auf und ließ den Blick über sein Publikum schweifen, denn jetzt fühlte er sich als Barde oder als Gaukler. Er kalkulierte die Pause, dann fuhr er fort: »Zwei Tage später ließ Don Tico mich rufen und eröffnete mir, daß Annibale Cantalamessa und Pio Bo den ganzen Abend ruiniert hätten. Sie hätten das Tempo nicht halten können, sie hätten sich in den Pausen mit Witzchen und Mätzchen zerstreut und danach den Einsatz verpasst. ›Das Baryton‹, sagte Don Tico, ›ist das Rückgrat der Blaskapelle, es ist ihr rhythmisches Gewissen, ihre Seele. Die Kapelle ist wie eine Herde,

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