Das Foucaultsche Pendel
der bei den Statuen immer an die Soutane von Don Bosco geklammert steht, die Augen zum Himmel gerichtet, um nicht die Zoten zu hören, die seine Kameraden erzählen. Nun, ich entdeckte, daß Don Tico eine Blaskapelle zusammengestellt hatte, aus lauter Jungs zwischen zehn und vierzehn Jahren. Die Kleinen spielten Klarinette, Piccoloflöte und Sopransaxofon, die Größeren schafften das Bombardon und die Große Trommel. Sie hatten Uniformen, Khaki-Jacken und blaue Hosen, dazu Schirmmützen. Ein Traum, ich wollte dabei sein. Don Tico sagte, er könnte ein Baryton brauchen.«
Belbo musterte uns überlegen und dozierte: »Das Baryton ist eine Art kleine Tuba, ähnlich dem eher bekannten Tenorhorn in B. Es ist das dümmste Instrument in der ganzen Kapelle. Es macht Umpa-Umpa-Umpapaa, wenn der Marsch losgeht, und nach dem Parapapaa-Parapapaa geht es zu raschen Stößen über und macht Pa-Pa-Pa-Pa-Pa... Aber es ist leicht zu erlernen, es gehört zur Familie der Blechblasinstrumente wie die Trompete, und seine Mechanik ist die gleiche wie bei der Trompete. Die Trompete erfordert mehr Atem und einen guten Ansatz — ihr wisst schon, diese kleine runde Schwiele, die sich auf den Lippen bildet, wie bei Louis Armstrong. Mit einem guten Ansatz spart man Atem, und der Ton kommt klar und sauber heraus, ohne daß man das Pusten hört, andererseits darf man auf keinen Fall die Backen aufblasen, wehe, das gibt's nur beim Vortäuschen und in den Karikaturen.«
»Und was war mit der Trompete?«
»Die Trompete hab ich allein gelernt, an den Sommernachmittagen, wenn keiner im Oratorium war und ich mich im Parkett des kleinen Theaters versteckte... Aber ich hab sie aus erotischen Gründen gelernt. Seht ihr die kleine Villa dort unten, etwa einen Kilometer vom Oratorium entfernt? Dort wohnte Cecilia, die Tochter der Wohltäterin des Salesianer- Ordens. Naja, und so kam es, daß jedes Mal, wenn die Kapelle aufspielte, zu den Festen, nach der Prozession, im Hof des Oratoriums und vor allem im Theater, bevor die Laienspielgruppe auftrat, dann saß Cecilia da mit ihrer Mama, vorn in der ersten Reihe auf den Ehrensitzen, neben dem Dompropst. Und die Kapelle spielte dann immer einen Marsch, der hieß Buon Principio und wurde von den Trompeten eröffnet, den Es-Trompeten aus Gold und Silber, die extra für diesen Anlass blank geputzt worden waren. Die Trompeter standen auf und spielten ein Solo. Dann setzten sie sich wieder hin, und die Kapelle legte los. Trompete zu spielen war die einzige Art, mich Cecilia bemerkbar zu machen.«
»Die einzige?« fragte Lorenza gerührt.
»Ja, es gab keine andere. Denn erstens war ich dreizehn und sie dreizehneinhalb, und ein Mädchen von dreizehnein- halb ist eine Frau und ein Junge von dreizehn ein Rotzbengel. Und zweitens liebte sie ein Altsaxofon, einen gewissen Papi, einen grässlichen Kerl mit grindigem Haar, wie mir schien, und sie hatte nur Augen für ihn, der lasziv blökte, denn das Saxofon, wenn es nicht von Ornette Coleman gespielt wird, sondern in einer Blaskapelle — noch dazu von einem so grässlichen Kerl wie dem Papi — , dann ist es (so jedenfalls schien es mir damals) ein meckerndes und obszönes Instrument, es klingt sozusagen wie ein Mannequin, das zu saufen angefangen hat und auf den Strich geht.«
»Wie klingen denn Mannequins, die auf den Strich gehen? Was weißt du darüber?«
»Na, kurz und gut, Cecilia wusste nicht einmal, daß ich existierte. Sicher, wenn ich abends den Hügel raufstieg, um die Milch beim Bauern zu holen, dachte ich mir wunderschöne Geschichten aus, mit ihr, wie sie von den Schwarzen Brigaden geraubt wurde und ich hinlief, um sie zu retten, während die Kugeln mir um die Ohren pfiffen und tschakt-tschak machten, wenn sie in die Stoppeln fielen, und ich enthüllte ihr, was sie nicht wissen konnte, nämlich daß ich unter falschem Namen die Resistenza im ganzen Monferrat leitete, und sie gestand mir, daß sie es immer gehofft hatte, und dann schämte ich mich, weil ich etwas wie Honig in meinen Adern fließen fühlte — ich schwöre euch, mir wurde nicht mal die Vorhaut feucht, es war was anderes, etwas viel Schrecklicheres und Grandioseres —, und ich rannte nach Hause, um zu beichten... Ich glaube, Sünde, Liebe und Ruhm sind genau dies: Wenn du dich an zusammengeknüpften Bettlaken aus dem Fenster des Folterzentrums der SS herab- lässt, und die Geliebte hängt dir am Hals, im Leeren schwebend, und sie flüstert dir ins Ohr, sie hätte schon immer von dir
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