Das Foucaultsche Pendel
dreißiger Jahren gern ihre Sofas dekorierten. Aus einem Lautsprecher in einer Ecke kam ferne Trompetenmusik, diesmal von guter Qualität, vielleicht war es etwas von Gabrieli, jedenfalls war der klangliche Effekt geschmackssicherer als der visuelle. Rechts neben dem Thron stand eine zweite Frauenfigur, gekleidet in ein karmesinrotes Samtgewand mit weißem Gürtel, auf dem Kopf einen Lorbeerkranz und in der Hand eine vergoldete Waage. Agliè erklärte uns die verschiedenen Bedeutungen, aber ich müsste lügen, wenn ich behaupten wollte, ich hätte ihm viel Aufmerksamkeit geschenkt. Was mich interessierte, war der Gesichtsausdruck vieler Gäste, die mit ehrfürchtiger und ergriffener Miene von einem Standbild zum anderen wandelten.
»Im Grunde sind die hier nicht anders als jene Gläubigen, die nach Lourdes oder Fatima pilgern, um die Schwarze Madonna in einem mit silbernen Herzen bestickten Kleid zu sehen«, sagte ich zu Belbo. »Denken die etwa, das wäre die Muttergottes in Fleisch und Bein? Nein, aber sie denken auch nicht das Gegenteil. Sie genießen die Ähnlichkeit, sie empfinden das Spektakel als Vision und die Vision als Realität.«
»Ja«, sagte Belbo, »aber das Problem ist nicht, ob diese hier besser oder schlechter sind als die, die nach Lourdes oder Fatima pilgern. Ich fragte mich gerade, wer eigentlich wir sind. Wir, die wir Hamlet für wahrer halten als unseren Hausmeister. Habe ich das Recht, diese hier zu verurteilen, ich, der ich herumlaufe auf der Suche nach Madame Bovary, um ihr eine Szene zu machen?«
Diotallevi schüttelte den Kopf und sagte leise zu mir, man dürfe sich kein Bildnis von den göttlichen Dingen machen und dies hier seien alles Epiphanien des Goldenen Kalbes. Aber er amüsierte sich.
58
Deswegen ist die Alchimie eine keusche Hure, die viele Liebhaber hat, aber alle enttäuscht und keinem ihre Umarmung gewährt. Sie verwandelt die Dummen in Schwachsinnige, die Reichen in Bettler, die Philosophen in Schwätzer und die Betrogenen in eloquente Betrüger.
Trithemius, Annalium Hirsaugensium Tomi II, Sankt Gallen 1690, 141
Plötzlich erlosch das Licht im Saal, und die Wände begannen zu leuchten. Ich bemerkte, daß sie zu drei Vierteln mit einem halbkreisförmigen Projektionsschirm bedeckt waren, auf dem jetzt Bilder erschienen. Dabei zeigte sich, daß ein Teil der Decke und des Bodens aus reflektierendem Material bestand, und als reflektierend erwiesen sich auch einige der Objekte, die mich vorher durch ihre grobe Machart so frappiert hatten: die Pailletten, die Waage, ein Schild und einige kupferne Schalen. Wir fanden uns eingetaucht in eine wässrige, wellig flutende Atmosphäre, in der die Bilder sich vervielfachten, sich brachen und mit den Silhouetten der Anwesenden verschmolzen, der Boden reflektierte die Decke, die Decke den Boden und beide zusammen die Figuren, die an den Wänden erschienen. Zugleich mit der Musik verbreiteten sich zarte Gerüche durch den Raum, erst indische Weihrauchdüfte, dann andere, unbestimmtere, bisweilen auch unangenehme.
Zuerst ging das Dämmerlicht in tiefste Finsternis über, dann, während ein dumpfes Grollen ertönte, ein schmatzendes Blubbern wie von kochender Lava, waren wir in einem Krater, wo eine zähflüssige dunkle Masse Blasen trieb im zuckenden Lichtschein gelber und bläulicher Flammen.
Ein dickes klebriges Wasser verdampfte nach oben, um als Tau oder Regen wieder herabzusinken, und ein Modergeruch von fauliger Erde stieg auf. Ich atmete Grabesluft, roch den Tartaros, den Abgrund der Finsternis, mich umströmte eine giftige Jauche, die gurgelnd dahinschoss zwischen Landzungen aus Dung, Kot, Kompost, Kohlenstaub, Blei, Borke, Abschaum, Menstruum, Rauch, Schlamm, Schlacke, Teer, schwärzer als das schwärzeste Schwarz, das nun heller wurde, um zwei Reptilien erscheinen zu lassen, welche — das eine bläulich, das andere rötlich — sich zu einer Art von Kopulation vereinten, bei der sie einander in den Schwanz bissen, so daß sie eine einzige Kreisfigur bildeten.
Es war, als hätte ich zu viel Alkohol getrunken, ich sah meine Gefährten nicht mehr, sie waren im Dämmerdunkel verschwunden, ich erkannte die Gestalten nicht, die sich neben mir regten, und empfand sie wie aufgelöste, fließende Schemen... Da fühlte ich plötzlich, wie jemand mich an der Hand ergriff. Jetzt weiß ich, daß es nicht stimmte, doch damals wagte ich nicht, mich umzudrehen, um nicht zu entdecken, daß es eine Täuschung war. Aber ich roch das
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