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Das Foucaultsche Pendel

Das Foucaultsche Pendel

Titel: Das Foucaultsche Pendel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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in Opern von Herolden geblasen werden. Ähnlich wie in jenen Krippenspielen, wo die Engel ein Gefieder aus Krepppapier tragen, hatte die Frau an den Schultern zwei große weiße Flügel, dekoriert mit mandelähnlichen Formen, die einen Punkt in der Mitte trugen, so daß man sie mit ein wenig gutem Willen für Augen halten konnte.
    Wir sahen Professor Camestres, einen der ersten Diaboliker, der uns im Verlag besucht hatte, den Gegner des Ordo Templi Orientis. Er war kaum wiederzuerkennen, da er sich in einer Weise verkleidet hatte, die uns einzigartig erschien, aber die Agliè als dem Ereignis durchaus angemessen bezeichnete: Er trug einen weißen Leinenrock, gegürtet mit einem roten, kreuzweise über Brust und Rücken geführten Band, sowie einen barocken Dreispitz, auf den er vier rote Rosen gesteckt hatte. Er kniete vor der jungen Frau mit der Trompete nieder und sagte ein paar Worte.
    »Wahrhaftig«, murmelte Garamond, »es gibt mehr Dinge im Himmel und auf Erden... «
    Wir traten durch ein reich mit Figuren geschmücktes Portal, das mich an den Staglieno-Friedhof in Genua erinnerte. Hoch oben, über einer verschlungenen klassizistischen Allegorie, prangten in Stein gemeißelt die Worte CONDOLEO ET CONGRATULOR. (Ich kondoliere und gratuliere.)
    Innen wimmelte es von angeregt schwatzenden Gästen, die sich um ein Büffet in einer weiten Eingangshalle drängten, von der zwei breite Treppen zu den oberen Stockwerken führten. Ich entdeckte noch andere bekannte Gesichter, darunter den Professor Bramanti sowie — Überraschung — den Commendatore De Gubernatis, den von Garamond bereits ausgebeuteten AEK, der aber anscheinend noch nicht mit der grässlichen Möglichkeit konfrontiert worden war, daß alle Exemplare seines Meisterwerkes im Reißwolf enden könnten, denn er begrüßte meinen Arbeitgeber mit Ausdrücken der Verehrung und Dankbarkeit. Seine Verehrung Agliè zu entbieten, kam ein schmächtiges Männlein mit glühenden Augen gelaufen. An seinem unverwechselbaren Akzent erkannten wir Pierre, den Franzosen, den wir in Agliès Villa durch die Vorhangtür belauscht hatten, als er Bramanti der Hexerei beschuldigte.
    Ich trat ans Büffet. Da standen Karaffen mit buntfarbenen Getränken, die ich nicht zu identifizieren vermochte. Ich goss mir etwas Gelbes ein, das aussah wie Wein, es war nicht übel, es schmeckte nach altem Rosolio, doch es war sicherlich alkoholisch. Vielleicht enthielt es auch noch etwas anderes, denn mir begann sich der Kopf zu drehen. Rings um mich drängten sich facies hermeticae neben strengen Gesichtern von Präfekten im Ruhestand, ich schnappte Gesprächsfetzen auf...
    »... im ersten Stadium müsste es dir gelingen, mit anderen Geistern zu kommunizieren, dann Gedanken und Bilder in andere Wesen zu projizieren, die Orte mit Affekten aufzuladen und Autorität über das Reich der Tiere zu gewinnen. In der dritten Phase versuchst du, ein Double von dir in einen Punkt des Raumes zu projizieren: Bilokation, wie die Yogis, du müsstest gleichzeitig in mehreren Gestalten erscheinen. Danach geht es darum, zur übersinnlichen Erkenntnis der vegetabilischen Essenzen vorzudringen. Schließlich versuchst du's mit der Dissoziation, dabei geht es darum, das tellurische Gefüge des Körpers zu durchdringen, sich an einem Ort aufzulösen und an einem anderen zu rematerialisieren — ganz und gar, meine ich, nicht bloß mit einem Double. Das letzte Stadium ist dann die Verlängerung des physischen Lebens... «
    »Nicht die Unsterblichkeit?«
    »Noch nicht gleich.«
    »Aber du?«
    »Nun ja, das erfordert einige Konzentration. Ich verhehle dir nicht, daß es mühsam ist. Ich bin ja nicht mehr zwanzig... « Ich kondoliere und gratuliere.
    Ich fand meine Gruppe wieder. Sie trat gerade in einen Saal mit weiß getünchten Wänden und abgerundeten Ecken. Im Hintergrund erhoben sich, ähnlich wie in einem Musée Grévin — aber das Bild, das mir an jenem Abend unwillkürlich in den Sinn kam, war das des Altars, den ich in dem Umbanda-Tempel in Rio gesehen hatte —, zwei nahezu lebensgroße Figuren aus Wachs, bekleidet mit einem glitzernden Zeug, das mir aus der billigsten Requisitenkammer zu stammen schien. Die eine war eine Dame auf einem Thron in einem (fast) makellos weißen Kleid mit goldglänzenden Pailletten. Über ihr hingen an Fäden diverse Geschöpfe von unbestimmter Form, die mir aus Stoffresten oder Filz gemacht schienen, ähnlich jenen kitschigen Puppen, mit welchen die feinen Damen in den

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