Das Foucaultsche Pendel
Parfüm von Lorenza, und erst in diesem Moment begriff ich, wie sehr ich sie begehrte. Es musste Lorenza sein. Sie war zurückgekommen, um jenen Dialog aus leisem Scharren und Nägelkratzen an meiner Tür wieder aufzunehmen, den sie in der Nach zuvor nicht beendet hatte. Schwefel und Quecksilber schienen sich zu einer feuchten Wärme zu verbinden, die mir die Lenden erbeben ließ, aber sanft, ohne Ungestüm.
Ich erwartete den Rebis, den androgynen Knaben, das Salz der Weisen, die Krönung des Weißen Werkes.
Mir war, als wüsste ich alles. Vielleicht kamen mir Dinge in den Sinn, die ich in den letzten Monaten gelesen hatte, vielleicht übertrug mir Lorenza ihr Wissen durch die Berührung ihrer Hand, die sich ein wenig feucht anfühlte.
Und ich ertappte mich dabei, obskure Namen zu murmeln — Namen, die einst, ich wusste es, die Alchimisten dem Weißen gegeben hatten, aber mit denen ich nun zitternd — vielleicht — Lorenza rief — oder die ich vielleicht auch nur vor mich hin murmelte wie eine Versöhnungslitanei: Agnus immaculatus, Abendstern, Aibathest, Alborach, Aqua benedicta, Mercurium purificatum, Auripigment, Azoch, Baurach, Cambar, Caspa, Cerussa, Cera, Clair de lune, Comerisson, Elektrum Euphrat, Eva, Fada, Favonius, Fundamentum Artis, Diamant, Narziss, Lilie, Hermaphrodit, Hae, Hyle, Hypostase, Jungfrauenmilch, Lapis Unica, Lebendiges Öl, Legumen, Mutter, Ei, Phlegma, Punkt, Radix, Wurzelsaft, Salz der Erde, Terra foliata, Tevos, Tincar, Vapor, Ventus, Virago Vitrum Pharaonis, Zephyr, Zibach, Ziva, Geier, Kinderurin, Plazenta, Menstruum, Servus fugitivus, Manus sinistra, Sperma Metallorum, Spiritus, Sulfur unctuosum...
In der Pechschwärze, die nun grau wurde, zeichnete sich ein Horizont aus Felsen und verdorrten Bäumen ab, hinter dem eine schwarze Sonne versank. Dann zuckte jäh ein fast blendendes Licht, und gleitende Bilder erschienen, die einander in allen Richtungen reflektierten, so daß ein Kaleidoskop-Effekt entstand. Die Ausdünstungen waren jetzt liturgisch, kirchlich, und mir begann der Kopf zu dröhnen, ich spürte etwas Schweres auf meine Stirne drücken, ich sah einen prächtigen Saal, mit goldgewirkten Wandteppichen geschmückt, vielleicht ein Hochzeitsbankett, mit einem prinzlichen Bräutigam und einer weiß gekleideten Braut, sodann einen alten König und eine Königin auf dem Thron nebst einem Krieger und einem weiteren König, der dunkelhäutig war. Vor dem alten Königspaar stand ein kleiner Altar, auf dem ein mit schwarzem Samt bezogenes Buch lag und eine Kerze auf einem elfenbeinernen Leuchter brannte. Neben diesem standen ein rotierender Globus und eine Uhr mit einem kleinen kristallenen Springbrunnen oben darauf, aus dem eine blutrote Flüssigkeit lief. Über dem Brunnen schließlich mochte ein Totenkopf sein, in dessen Augen sich eine weiße Schlange ringelte...
Lorenza hauchte mir einige Worte ins Ohr. Aber ich konnte ihre Stimme nicht hören.
Die Schlange ringelte sich im Rhythmus einer langsamen Trauermusik. Das alte Königspaar legte schwarze Kleider an, und vor ihm standen nun sechs schwarz verhängte Särge. Tiefe Tubatöne erklangen, und es erschien ein großer Mann in kohlschwarzer Kapuze. Zuerst war es eine hieratische Exekution, wie im Zeitraffer, der sich der alte König mit schmerzlicher Freude fügte, indem er gehorsam das Haupt niederbeugte. Dann schwang der Kapuzenmann seine Axt wie eine Sense, und es war wie das Sausen eines Pendels, der Axthieb vervielfachte sich auf jeder reflektierenden Fläche, in jeder Fläche und durch jede Fläche, und so waren es tausend Köpfe, die rollten, und von diesem Moment an folgten die Bilder einander so schnell, daß ich nicht mehr genau mitbekam, was geschah. Ich glaube, es wurden nacheinander alle Personen, einschließlich des schwarzen Königs, enthauptet und in die Särge gelegt, dann verwandelte sich der ganze Saal in ein Meeres- oder Seeufer, und wir sahen sechs erleuchtete Schiffe anlegen, auf welche die Särge gebracht wurden, wonach die Schiffe wieder ablegten und sich auf dem Wasserspiegel in die Nacht entfernten, und all das vollzog sich, während die Weihrauchschwaden immer dichter wurden, so daß ich für einen Augenblick fürchtete, selbst unter den Verurteilten zu sein, und viele rings um mich murmelten: »Die Hochzeit, die chymische Hochzeit...«
Ich hatte den Kontakt mit Lorenza verloren und wagte erst jetzt, mich umzudrehen, um sie unter den Schatten zu suchen.
Der Saal war jetzt eine Krypta geworden,
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