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Das Foucaultsche Pendel

Das Foucaultsche Pendel

Titel: Das Foucaultsche Pendel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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zu verwetten. Belbo, vor dir sitzend, konnte plötzlich seine Hände betrachten oder sein Knie fixieren, oder die Lider halb schließen und ein etruskisches Lächeln andeuten, oder ein paar Sekunden mit offenem Munde dahocken, die Augen zur Decke erhoben, und dann leicht stammelnd sagen: »Ach ja, dieser Kant...« Oder, wenn jemand sich engagiert zu einem Attentat auf das ganze System des transzendentalen Idealismus aufschwang: »Jaaa... und Sie werden dann wirklich all das Durcheinander gewollt haben...?« Wonach er dich auffordernd ansah, als hättest du und nicht er den Zauber gebrochen, und dich ermunterte: »Aber reden Sie weiter, reden Sie doch weiter. Da ist sicher was dran... da ist was... der Mann hatte Geist.«
    Manchmal, wenn er sich wirklich sehr ärgerte, reagierte er grob. Da aber das einzige, was ihn auf die Palme brachte, die Grobheit anderer war, blieb seine eigene Grobheit ganz innerlich und regional. Er presste die Lippen zusammen, drehte die Augen kurz zum Himmel, senkte dann rasch den Blick und den Kopf, von links oben nach unten, und sagte halblaut: » Ma gavte la nata .« Es war ein piemontesischer Ausdruck, den er bisweilen erklärte, wenn jemand ihn nicht verstand: » Ma gavte la nata, wörtlich: zieh dir mal den Pfropfen raus. Das sagt man, wenn einer sich aufbläht. Die Idee ist, dass er in diese abnorme Lage geraten ist, weil er einen Pfropfen im Hintern hat. Sobald er ihn rauszieht, pffffiisch, schrumpft er wieder zu normaler Menschengröße zusammen.«
    Mit solchen Interventionen konnte er einem ganz unversehens die Vanitas allen Seins enthüllen, und ich war davon fasziniert. Aber ich zog daraus eine falsche Lehre, denn ich nahm sie als Modell der höchsten Verachtung für die Banalität der Wahrheit anderer.
    Erst jetzt, nachdem ich mit den Geheimnissen Abulafias auch die Seele Belbos aufgedeckt habe, weiß ich, dass jene Haltung, die ich für illusionslose Nüchternheit hielt und mir zum Lebensprinzip erhob, für ihn eine Form der Melancholie war. Sein respektloser intellektueller Libertinismus verbarg ein verzweifeltes Streben nach Absolutheit. Es war schwer, das auf den ersten Blick zu erkennen, denn Belbo kompensierte die Momente der Flucht, des Zögerns, der Distanzierung mit Momenten entspannter Geselligkeit, in denen er sich damit amüsierte, in fröhlichem Unglauben alternative Absolutheiten zu produzieren. So etwa, wenn er mit Diotallevi Handbücher des Unmöglichen konzipierte, verkehrte Welten, bibliographische Teratologien. Und wenn man ihn dann so enthusiastisch und eloquent beim Bau seiner Sorbonne a la Rabelais sah, konnte man nicht ahnen, wie tief er unter seinem Exil aus der theologischen Fakultät, der wirklichen, litt.
    Erst jetzt ist mir klar: Ich hatte jene Adresse einfach weggeworfen, er hatte sie verloren und konnte den Verlust nie verschmerzen.
    In Abulafias Dateien habe ich viele Seiten eines Pseudo-Tagebuches gefunden, das Belbo dem Schweigen der Disketten anvertraut hatte, in der Gewissheit, damit seine so oft proklamierte Berufung zum schlichten Betrachter der Welt nicht zu verraten. Einige tragen ein weit zurückliegendes Datum, offenbar alte Aufzeichnungen, die er in den Computer übertragen hatte, sei's aus Nostalgie oder in der Absicht, sie irgendwie zu redigieren. Andere sind aus den letzten Jahren, seit er Abulafia hatte. Er schrieb aus Freude am mechanischen Spiel, oder um einsam über seine Irrtümer zu reflektieren, er machte sich vor, damit nichts zu »kreieren«, denn Kreation, auch wenn sie Irrtümer produziert, geschieht immer aus Liebe zu jemand anderem. Doch allmählich ging Belbo, ohne es zu merken, zur anderen Hemisphäre über. Er kreierte — und hätte er es bloß nie getan: Sein Enthusiasmus für den Großen Plan entsprang genau diesem Bedürfnis, ein BUCH zu schreiben, mochte es auch nur aus einsamen, exklusiven, wilden und absichtlich gemachten Fehlern bestehen. Solange du bloß dir selbst in deiner Leere begegnest, kannst du noch denken, du hättest Kontakt mit dem Einen, aber kaum knetest du an der Materie herum, und sei's an der elektronischen, bist du schon ein Demiurg geworden, und wer sich vornimmt, eine Welt zu erschaffen, hat sich schon mit dem Irrtum und mit dem Bösen kompromittiert.
    Filename: Drei Frauen ...
    So ist's: toutes les femmes que j'ai rencontrées se dressent aux horizons — avec les gestes piteux et les regards tristes des sémaphores sous la pluie... (Alle Frauen, denen ich begegnet bin, erheben sich an den

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