Das Foucaultsche Pendel
verlorenen Adresse suchte.
Ein obszöner Trupp kommt mir entgegen. Böse lachend okkupieren sie den Bürgersteig und zwingen mich, auf die Straße zu treten. Einen Moment lang denke ich, es sind Abgesandte des Alten vom Berge, die es auf mich abgesehen haben. Nein, sie verschwinden in der Nacht, aber sie redeten in einer fremden Sprache, irgendwie schiitisch zischelnd, oder talmudisch, koptisch wie eine Wüstenschlange.
Androgyne Gestalten in langen Mänteln kommen daher. In rosenkreuzerischen Mänteln. Sie gehen vorbei, biegen ab in die Rue de Sévigné. Es ist tiefe Nacht mittlerweile. Ich bin aus dem Conservatoire geflohen, um die Stadt der Normalen wiederzufinden, und nun merke ich, dass die Stadt der Normalen wie eine Katakombe angelegt ist, mit besonderen Routen für die Initiierten.
Ein Betrunkener. Vielleicht tut er nur so. Trau keinem nie. Ich komme an einer noch offenen Bar vorbei, die Kellner mit den knöchellangen Schürzen stellen gerade die Tische und Stühle zusammen. Ich trete rasch an den Tresen, sie geben mir noch ein Bier. Ich kippe es runter und bestelle ein zweites. »Ganz schön durstig, eh?« sagt einer von ihnen. Aber ohne Wärme, argwöhnisch. Klar habe ich Durst, seit fünf Uhr nachmittags habe ich nichts getrunken, aber man kann auch Durst haben, ohne die Nacht unter einem Pendel verbracht zu haben. Blöde Kerle. Ich zahle und gehe, ehe sie sich meine Züge einprägen können.
Und plötzlich bin ich an der Ecke der Place des Vosges. Ich gehe unter den Arkaden entlang. Was war das noch gleich für ein alter Film, in dem die einsamen Schritte des irren Messerstechers Mathias nachts über die Place des Vosges hallten? Ich bleibe stehen. Höre ich Schritte hinter mir? Natürlich nicht, auch sie sind stehen geblieben. Ein paar Vitrinen würden genügen, um diese Arkaden in Säle des Conservatoire zu verwandeln.
Niedrige Renaissance-Decken, Rundbögen, Galerien für alte Stiche, Antiquitäten, Möbel. Place des Vosges, so geduckt mit den alten Portalen, rissig und abbröckelnd und leprös, hier gibt es Leute, die sich seit Jahrhunderten nicht fortbewegt haben. Leute mit gelben Kitteln. Ein Platz, wo nur Taxidermisten wohnen. Die gehen nur nachts aus. Die kennen den beweglichen Pflasterstein, den Schacht, durch den man in den Mundus Subterraneus eindringt. Vor aller Augen.
L'Union de Recouvrement des Cotisations de sécurité sociale et d'allocations familiales de la Patellerie numéro 75, unité 1. Eine neue Tür, vielleicht leben hier reiche Leute, aber gleich daneben kommt eine alte Tür, abgeblättert wie ein Haus in der Via Sincero Renata, dann in Nummer 3 eine frisch renovierte Tür. Wechsel von Hylikern und Pneumatikern. Die Herren und ihre Knechte. Und hier ist mit Brettern zugenagelt, was einmal ein Torbogen gewesen sein muß. Klar, hier war ein okkultistischer Buchladen, der jetzt nicht mehr da ist. Ein ganzer Block ist evakuiert worden. Über Nacht ausgezogen. Wie Agliè. Jetzt wissen sie, dass jemand Bescheid weiß, sie fangen an, ihre Spuren zu verwischen.
Ich bin am Eingang der Rue de Birague. Ich schaue zurück und sehe die Reihe der Arkaden, endlos, ohne eine lebende Seele, es wäre mir lieber, sie wäre dunkel, aber da ist das gelbe Licht der Laternen. Ich könnte laut schreien, und niemand würde mich hören. Lautlos hinter den geschlossenen Fenstern, aus denen kein Lichtstrahl dringt, würden die Taxidermisten grinsen in ihren gelben Kitteln.
Doch nein, auf dem Pflaster vor den Arkaden stehen parkende Autos, und gelegentlich huscht ein Schatten vorbei. Was den Ort freilich nicht anheimelnder macht. Ein großer schwarzer Schäferhund läuft vor mir über die Straße. Ein schwarzer Hund allein in der Nacht? Und wo ist Faust? Vielleicht hat er den treuen Wagner losgeschickt, um mit dem Hund Gassi zu gehen.
Wagner. Das war der Gedanke, der mir dunkel im Kopf herumging. Doktor Wagner, der ist's, den ich brauche. Er wird mir sagen können, ob ich deliriere, ob es Gespenster sind, die ich sehe. Er wird mir sagen können, dass nichts von alledem wahr ist, dass Belbo lebt und dass die Gruppe Tres nicht existiert. Welche Erleichterung, wenn ich krank wäre!
Ich verlasse den Platz fast rennend. Ein Auto folgt mir. Nein, vielleicht sucht es nur einen Parkplatz. Ich stolpere über Müllsäcke aus Plastik. Das Auto hält und parkt ein. Es war nicht hinter mir her. Ich bin auf der Rue Saint-Antoine, halte Ausschau nach einem Taxi. Da kommt eins, wie herbeibeschworen.
»Sept, Avenue
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