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Das Foucaultsche Pendel

Das Foucaultsche Pendel

Titel: Das Foucaultsche Pendel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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werden. Ich biege nach links in die Rue des Lombards ein, vielleicht um einer Schar skandinavischer Mädchen auszuweichen, die lachend aus einer noch offenen Taverne kommen. Still, wisst ihr nicht, dass auch Lorenza tot ist?
    Aber ist sie denn tot? Und wenn ich nun tot wäre? Rue des Lombards: von da geht nach rechts die Rue Flamel ab, und am Ende der Rue Flamel erhebt sich weiß der Turm Saint-Jacques. An der Kreuzung die Librairie Arcane 22, Tarotkarten und Pendel. Nicolas Flamel, der Alchimist, dazu ein alchimistischer Buchladen und dieser Turm Saint-Jacques mit den großen weißen Löwen am Sockel, dieser unnütze spätgotische Turm an der Seine, nach dem auch eine esoterische Zeitschrift benannt worden ist. Pascal hat dort Experimente gemacht, um das Gewicht der Luft zu bestimmen, und noch heute gibt es dort oben in 52 Metern Höhe eine Wetterstation. Vielleicht hatten sie dort oben begonnen, ehe sie den Eiffelturm errichteten. Es gibt privilegierte Orte. Und niemand bemerkt sie.
    Ich gehe zurück Richtung Saint-Merri. Von neuem lachende Mädchen. Ich will keine Leute mehr sehen, ich gehe um die Kirche herum, durch die Rue du Cloître Saint-Merri — eine Seitentür, alt, aus rohem Holz. Zur Linken öffnet sich ein Platz, die äußere Grenze des Beaubourg, taghell erleuchtet. Auf dem weiten Platz die Maschinen von Tinguély und andere bunte Apparaturen, die im Wasser eines Beckens oder künstlichen Teiches schaukeln, träge-tückisch mit Zahnrädern nickend, und im Hintergrund wieder das Röhrengerüst und die gähnenden Münder des Centre Beaubourg — wie eine verlassene Titanic vor einer efeuüberwucherten Mauer, gestrandet in einem Mondkrater. Wo einst die Kathedralen nicht weiterkamen, da wispern jetzt die großen transozeanischen Sprachrohre, im Kontakt mit den Schwarzen Jungfrauen. Entdecken kann sie nur, wer Saint-Merri zu umschiffen weiß. Und darum muß ich jetzt weitermachen, ich habe eine Spur gefunden, ich bin dabei, eine ihrer Spuren freizulegen, im Zentrum der Lichterstadt das Komplott der Finsterlinge!
    Ich nehme die Rue des Juges Consules und stehe vor der Fassade von Saint-Merri. Ich weiß nicht warum, aber irgend etwas drängt mich, die Taschenlampe anzuknipsen und auf das Portal zu richten. Flamboyante Gotik, verschlungene Bögen.
    Und plötzlich, während ich suche, was ich nicht zu finden erwarte, sehe ich ihn auf der Archivolte des Portals.
    Baphomet. Genau da, wo die beiden Halbbögen sich vereinigen. Auf dem ersten prangt eine Taube des Heiligen Geistes mit einem Nimbus aus steinernen Strahlen, auf dem zweiten aber, umlagert von betenden Engeln, hockt er, der Baphomet, mit seinen gewaltigen Flügeln. An der Fassade einer Kirche. Schamlos.
    Warum gerade hier? Weil wir nicht weit vom Tempel sind. Wo ist der Tempel, beziehungsweise das bisschen, was von ihm übrig geblieben ist? Ich kehre um, gehe zurück nach Nordosten und gelange zur Rue Montmorency. Die Nummer 51 ist das Haus von Nicolas Flamel. Zwischen dem Baphomet und dem Tempel. Der gewiefte Spagiriker wusste genau, auf wen es ankam. Mülleimer voller stinkendem Unrat vor einem Gebäude aus unbestimmter Zeit, Taverne Nicolas Flamel. Das Haus ist alt, sie haben es restauriert für die Touristen, für Diaboliker niedersten Ranges, Hyliker. Daneben eine American Bar mit einer Reklame für Apple-Computer: Secouez-vous les puces, Schüttelt euch die Flöhe ab — die Flöhe, sind das nicht die bugs, die Programmierfehler? Soft-Hermes. Dir Temurah.
    Jetzt bin ich in der Rue du Temple, ich gehe sie hinauf und gelange zur Ecke der Rue de Bretagne, wo der Square du Temple liegt, ein kleiner Park, fahlweiß wie ein Friedhof, die Nekropole der geopferten Ritter.
    Die Rue de Bretagne hinunter bis zur Ecke Rue Vieille du Temple. Im unteren Teil der Rue Vieille du Temple, nach der Kreuzung mit der Rue Barbette, gibt es kuriose Läden für Lampen in ausgefallenen Formen: als Enten, als Efeublätter. Zu ostentativ modern. Die narren mich nicht.
    Rue des Francs-Bourgeois: ich bin im Marais, den kenne ich, gleich kommen die koscheren Metzgereien, was haben die Juden mit den Templern zu tun, wo wir doch nun geklärt haben, dass ihr Platz im Großen Plan den Assassinen aus Alamut zukam? Warum sind sie hier? Suche ich nach einer Antwort? Nein, vielleicht will ich nur weg vom Conservatoire. Oder ich strebe undeutlich zu einem Ziel, ich weiß, dass es nicht hier sein kann, und versuche mich zu erinnern, wo es sein mag, wie Belbo, der im Traum nach einer

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