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Das Foucaultsche Pendel

Das Foucaultsche Pendel

Titel: Das Foucaultsche Pendel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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die einfallenden Strahlen so zurückwerfen, dass du den Gegenstand nicht klar umrissen im Spiegel siehst, sondern meinst, ihn gespenstisch flimmernd und verkehrt herum außen vor ihm schweben zu sehen. Natürlich brauchst du dich nur ein bisschen zu bewegen, und schon ist das Bild verschwunden.
    Aber dann plötzlich sah ich mich selbst verkehrt herum in einem Spiegel.
    Unerträglich.
    Was wollte Lavoisier damit sagen, was wollten die Regisseure des Conservatoire suggerieren? Schon seit dem Mittelalter, seit Alhazen, kennen wir die Magie der Spiegel. Lohnte es sich, die Encyclopédie zu entwerfen, die ganze Aufklärung und die Große Revolution zu machen, bloß um zu behaupten, dass man nur die Oberfläche eines Spiegels zu krümmen braucht — und schon stürzt man ins Imaginäre? Und ist Illusion nicht das, was man im normalen Spiegel sieht — der andere, der dich da anschaut, verurteilt zu ewigem Linkshändertum, jeden Morgen, wenn du dich rasierst? Lohnte es sich, dir bloß das zu sagen, in diesem Saal hier, oder wollte man dir nicht damit suggerieren, den ganzen Rest mit anderen Augen zu sehen, all diese Vitrinen und Instrumente, die hier vorgeben, die Anfänge der aufgeklärten Physik und Chemie zu feiern?
    Lederne Schutzmaske für Experimente mit Kalzinierungen. Wirklich? Hat sich der Herr da mit den Kerzen unter der Glasglocke wirklich diese Kanalrattenmaske, dieses Visier für Invasoren aus dem All aufgesetzt — bloß um seine Augen zu schützen? Oh, how delicate, Doctor Lavoisier. Und wenn Sie die kinetische Theorie der Gase studieren wollten, wozu dann diese pedantische Rekonstruktion des Äolusbällchens, einer kleinen Tülle auf einer Kugel, die, wenn sie erhitzt wird, Dampf sprühend rotiert, wo doch das erste Äolusbällchen bereits von Heron konstruiert worden war, zur Zeit der Gnosis, als Trickmaschinerie für die sprechenden Statuen und die anderen Wunder der ägyptischen Priester?
    Und was war dieser Apparat zum Studium der Fäulnisgärung, 1781, schöne Anspielung auf die stinkenden Bastarde des Demiurgen? Eine Sequenz von Glasröhren, die aus einem blasenförmigen Uterus durch Kugeln und Gänge verlaufen, gestützt von Gabeln, im Innern von zwei Flaschen, aus denen eine Essenz von der einen in die andere übertragen wird, durch Serpentinen, die ins Leere münden ... Fäulnisgärung? Nein: balneum Mariae, Sublimation des Quecksilbers, mysterium conjunetionis, Produktion des Elixiers!
    Und diese Maschine zum Studium der Gärung (schon wieder) des Weins? Ein Spiel kristallener Bögen, das von Athanor zu Athanor geht, aus einem Destillierkolben austritt, um in den andern einzumünden? Und diese kleinen Augengläser, und die winzige Sanduhr, und das kleine Elektroskop, und die Linse, das Seziermesserchen, das wie ein Keilschriftzeichen aussieht, der Spatel mit Ausstoßhebel, die Glasklinge, das drei Zentimeter große Tiegelchen aus Schamottstein zur Erzeugung eines Homunkulus in Zwergengröße, infinitesimaler Uterus für klitzekleinste Klonierungen, oder das Mahagonikästchen voll weißer Päckchen wie Kapseln aus Dorfapotheken, eingehüllt in Pergamente mit unübersetzbaren Lettern, gefüllt mit (so heißt es) mineralogischen Proben, in Wahrheit mit Fetzen vom Grabtuch des Basilides, Reliquiare mit der Vorhaut des Hermes Trismegistos, und das lange dünne Ziselierhämmerchen zum Eröffnen eines sehr kurzen Gerichtstages, für Auktionen von Quintessenzen bei dem Kleinen Volk der Elfen von Avalon, und dieser unsäglich kleine Apparat zur Analyse der Ölverbrennung, diese Glaskügelchen, angeordnet wie Vierblattklee und miteinander verbunden durch goldene Röhren und diese mit anderen Röhren aus Glas und diese wieder mit einem Zylinder aus Kupfer, und dann — direkt darunter — ein anderer Zylinder aus Gold und Glas, und weiter unten noch andere Röhren, Hängebeutel, Testikel, Drüsen, Auswüchse, Kämme ... Ist das die neuzeitliche Chemie? Und dafür musste ihr Urheber guillotiniert werden, wo doch, wie er lehrte, nichts sich kreiert und nichts sich zerstört? Oder hat man ihn umgebracht, um ihn zum Schweigen zu bringen über das, was er erfindend enthüllte, wie Newton, der güldene Ritter, der so mächtig die Schwingen spreizte, aber fortfuhr, über die Kabbala und die qualitativen Essenzen zu meditieren?
    Der Saal Lavoisier des Conservatoire ist ein Bekenntnis, eine chiffrierte Botschaft, eine Kurzfassung des Conservatoire insgesamt, ein Hohn auf den Stolz des starken Denkens der modernen

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