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Das Fräulein von Scuderi

Das Fräulein von Scuderi

Titel: Das Fräulein von Scuderi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E.T.A. Hoffmann
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vollkommensten Gewißheit, daß Cardillac in jener Nacht das Haus nicht verließ, mithin ist Oliviers Be-hauptung, er sei mit ihm wirklich ausgegangen, eine freche Lüge. Die Haustüre ist mit einem schweren Schloß versehen, welches bei dem Auf- und Zuschließen ein durchdrin-39
    gendes Geräusch macht, dann aber bewegt sich der Tür-flügel widrig knarrend und heulend in den Angeln, so daß, wie es angestellte Versuche bewährt haben, selbst im obersten Stock des Hauses das Getöse widerhallt. Nun wohnt in dem untersten Stock, also dicht neben der Haustür, der alte Meister Claude Patru mit seiner Aufwärterin, einer Person von beinahe achtzig Jahren, aber noch mun-ter und rührig. Diese beiden Personen hörten, wie Cardillac nach seiner gewöhnlichen Weise an jenem Abend
    Punkt neun Uhr die Treppe hinabkam, die Türe mit vielem Geräusch verschloß und verrammelte, dann wieder hi-naufstieg, den Abendsegen laut las und dann, wie man es an dem Zuschlagen der Türe vernehmen konnte, in sein Schlafzimmer ging. Meister Claude leidet an Schlaflosig-keit, wie es alten Leuten wohl zu gehen pflegt. Auch in jener Nacht konnte er kein Auge zutun. Die Aufwärterin schlug daher, es mochte halb zehn Uhr sein, in der Küche, in die sie über den Hausflur gehend gelangt, Licht an und setzte sich zum Meister Claude an den Tisch mit einer alten Chronik, in der sie las, während der Alte seinen Gedanken nachhängend bald sich in den Lehnstuhl setzte, bald wieder aufstand, und um Müdigkeit und Schlaf zu gewinnen, im Zimmer leise und langsam auf und ab
    schritt. Es blieb alles still und ruhig bis nach Mitternacht.
    Da hörten sie über sich scharfe Tritte, einen harten Fall, als stürze eine schwere Last zu Boden, und gleich darauf ein dumpfes Stöhnen. In beide kam eine seltsame Angst und Beklommenheit. Die Schauer der entsetzlichen Tat, die eben begangen, gingen bei ihnen vorüber. – Mit dem hellen Morgen trat dann ans Licht, was in der Finsternis begonnen. – Aber, fiel die Scuderi ein, aber um aller Heiligen willen, könnt Ihr bei allen Umständen, die ich erst weit-läufig erzählte, Euch denn irgend einen Anlaß zu dieser Tat der Hölle denken? – Hm, erwiderte la Regnie, Cardil-40
    lac war nicht arm – im Besitz vortrefflicher Steine. Bekam, fuhr die Scuderi fort, bekam denn nicht alles die Tochter?
    – Ihr vergeßt, daß Olivier Cardillacs Schwiegersohn werden sollte. Er mußte vielleicht teilen oder gar nur für andere morden, sprach la Regnie. Teilen, für andere morden?
    fragte die Scuderi in vollem Erstaunen. Wißt, fuhr der Prä-
    sident fort, wißt mein Fräulein! daß Olivier schon längst geblutet hätte auf dem Greveplatz, stünde seine Tat nicht in Beziehung mit dem dicht verschleierten Geheimnis, das bisher so bedrohlich über ganz Paris waltete. Olivier ge-hört offenbar zu jener verruchten Bande, die alle Aufmerk-samkeit, alle Mühe, alles Forschen der Gerichtshöfe ver-spottend ihre Streiche sicher und ungestraft zu führen wußte. Durch ihn wird – muß alles klar werden. Die Wunde Cardillacs ist denen ganz ähnlich, die alle auf den Straßen, in den Häusern Ermordete und Beraubte trugen. Dann aber das Entscheidendste, seit der Zeit, daß Olivier Bru-
    ßon verhaftet ist, haben alle Mordtaten, alle Beraubungen aufgehört. Sicher sind die Straßen zur Nachtzeit wie am Tage. Beweis genug, daß Olivier vielleicht an der Spitze jener Mordbande stand. Noch will er nicht bekennen, aber es gibt Mittel, ihn sprechen zu machen wider seinen Willen. Und Madelon, rief die Scuderi, und Madelon, die treue, unschuldige Taube. – Ei, sprach la Regnie mit einem giftigen Lächeln, ei wer steht mir dafür, daß sie nicht mit im Komplott ist. Was ist ihr an dem Vater gelegen, nur dem Mordbuben gelten ihre Tränen. Was sagt Ihr, schrie die Scuderi, es ist nicht möglich; den Vater! dieses Mädchen! – O! fuhr la Regnie fort, o! denkt doch nur an die Brinvillier! Ihr möget es mir verzeihen, wenn ich mich vielleicht bald genötigt sehe, Euch Euren Schützling zu entreißen und in die Conciergerie werfen zu lassen. – Der Scuderi ging ein Grausen an bei diesem entsetzlichen Verdacht. Es war ihr, als könne vor diesem schrecklichen 41
    Manne keine Treue, keine Tugend bestehen, als spähe er in den tiefsten, geheimsten Gedanken Mord und Blutschuld. Sie stand auf. Seid menschlich, das war alles, was sie beklommen, mühsam atmend hervorbringen konnte.
    Schon im Begriff, die Treppe hinabzusteigen, bis zu der der Präsident sie

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