Das Frankenstein-Projekt (German Edition)
Freund von Ihnen gemacht hat.«
»Er hat sie auf eine DVD gebrannt«, erklärte sie. »Und die ist in diesem Notizbuch versteckt.«
Talbot zog an seiner Zigarette, stieß den Rauch durch die Nase aus und drückte die Kippe in den Aschenbecher. »Und das wissen Sie genau?«
»Das Notizbuch hat er mir gezeigt«, versicherte sie. »Und er bewahrte es in diesem Koffer auf. Dessen bin ich mir ganz sicher.« Sie beugte sich über den Tisch und ergriff in einer plötzlichen, verzweifelten und seltsam anrührenden Geste seine Hände. »Sie besorgen ihn doch für mich, nicht wahr, Mr Talbot? Sie lassen nicht zu, dass jemand diesen Koffer ersteigert und die Bilder ansieht, oder? Ich flehe Sie an! Tun Sie das für mich? Bitte!«
»Ohne die Adresse Ihres Freundes wird es nicht gehen«, gab Talbot zu bedenken. »Nach meinem Dafürhalten wäre es das Beste, den Koffer von ihm zurückzufordern, solange er ihn noch in seinem Besitz hat. Ehe es überhaupt zur Versteigerung kommt«, fügte er hinzu.
»Ich möchte, dass Sie nach Deutschland reisen«, sagte sie, ohne auf seine Bemerkung einzugehen. »Einer der Bieter kommt von dort. Sie haben doch gesagt, Sie sprächen Deutsch. Sollte er den Zuschlag erhalten, sind Sie gleich an Ort und Stelle. Da ist noch ein weiterer Bieter hier in England, um den kümmert sich aber ein anderer.«
»Ein anderer? « Talbot fühlte den bitteren Stich verletzter Eitelkeit in der Magengrube. Und für einen kurzen Augenblick kam er sich tatsächlich wie der betrogene Rittersmann vor, der eben entdeckt hat, dass es noch einen Nebenbuhler um die Gunst der Prinzessin gab. Er versuchte, sich nicht allzu viel anmerken zu lassen. »Sie meinen, Sie haben noch jemanden auf den Koffer angesetzt, um ganz sicherzugehen?«
»Natürlich.« Sie sagte das, als sei es das Selbstverständlichste von der Welt. »Allerdings ist er ein Freund von mir, aus der Botschaft. Das sollte ich vielleicht dazusagen. Er macht das umsonst.«
Wie nett von ihm, dachte Talbot. Die ganze verworrene Geschichte kam ihm, gelinde gesagt, reichlich merkwürdig vor. Doch Geld stinkt nicht, und er konnte es gut gebrauchen. »Haben Sie eine Idee, woher ich die Adresse des deutschen Bieters bekomme?«
»Die gebe ich Ihnen, sobald ich sie kenne«, sagte sie. »Ich bin sicher, mein Freund in der Botschaft kann sie für mich herausfinden.«
»Beziehungen sind alles«, sagte Talbot, der sein Bier austrank und sich noch immer so durstig fühlte wie ein Kamel nach der Sahara-Durchquerung. »Okay. Kein Problem, ich fahre für Sie rüber zum Kontinent, Miss Camataru. Und wenn der Koffer in Deutschland ankommt und ich die Empfängeradresse kenne, fange ich ihn dort auch für Sie ab.«
»Danke, Mr Talbot. Danke, das werde ich Ihnen nie vergessen.«
»Schon okay«, sagte er. »Das wird aber nicht ganz billig. Denn dummerweise muss ich von etwas leben.«
»Um die Bezahlung machen Sie sich bitte keine Sorgen.« Sie klang etwas verstimmt. »Wie ich schon sagte: Ich habe ein bisschen was gespart.«
»Haben Sie ein Handy?«
»Nein, leider nicht.«
»Wie kann ich Sie dann erreichen?«
»Sie können mich in unserer Botschaft erreichen. Ich wohne dort, bis ich eine Wohnung gefunden habe.« Sie angelte sich das Blatt mit der eBay-Anzeige von der anderen Seite des Tisches und schrieb eine Nummer darauf. »Das ist die Durchwahl. Da haben Sie mich gleich am Apparat.«
Das war es gewesen. Dann war sie fort. Aufgestanden und verschwunden wie ein Geist. Wäre er nicht vollkommen nüchtern gewesen, er hätte im Nachhinein vielleicht geglaubt, sich alles nur eingebildet zu haben. Sie war fort und hatte ein Gefühl der Leere hinterlassen.
Die Zigarettenschachtel hatte noch auf dem Tisch gelegen und er hatte sie eingesteckt. Diese Frau war so dünn, so zerbrechlich gewesen. Mit glanzlosen Haaren, die wie staubige Fäden an ihrem schmalen Gesicht herabhingen. Ihre Kleider waren abgetragen und viel zu weit. Und dann diese Augen. Nie im Leben würde er sie vergessen können – diesen gehetzten Blick, diese Angst, diese Verzweiflung. Wenn all das gespielt war, dann musste sie eine verdammt gute Schauspielerin gewesen sein. Nun war sie vielleicht schon tot. Was für eine entsetzliche Verschwendung von Talent.
Im Nachhinein fragte er sich sogar, ob überhaupt ein Körnchen Wahrheit in dem steckte, was sie ihm erzählt hatte. Je länger er darüber nachdachte, umso absurder kam ihm das Szenario vor. Und doch hatte er den Wurm freiwillig geschluckt – mitsamt
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