Das fremde Gesicht
ständig sein Autotelefon benutzt.«
Plötzlich fragte sich Victor, wie lange es wohl dauern würde, bis jemand es für merkwürdig hielt, daß es allein seine Aussage war, die Ed Collins an dem damaligen Abend auf die Auffahrt zur Tappan Zee Bridge plazierte.
Es fiel ihm nicht schwer, auf die Sorge in Meghans Miene mit gleicher Betroffenheit zu reagieren, während er die Hand schüttelte, die sie ihm entgegenhielt.
10
Am Sonntag nachmittag traf sich Meg um drei Uhr mit Steve, dem Kameramann von PCD, auf dem Parkplatz der Manning Clinic.
Die Klinik lag an einem Hügel drei Kilometer von der Route 7 im Landkreis Kent entfernt, eine Dreiviertelstunde Fahrt nach Norden vom Haus ihrer Familie aus. Das Gebäude war 1890 als Heim eines gewieften Geschäftsmannes erbaut worden, dessen Frau so klug war, ihren ehrgeizigen Gatten davon abzuhalten, eine protzige Zurschaustellung seines rasanten Aufstiegs zum Inhaber eines Handelsimperiums zu inszenieren. Sie überzeugte ihn davon, daß statt des von ihm geplanten Pseudopalastes ein Herrensitz im englischen Stil besser zu der Schönheit der Landschaft paßte.
»Fertig für die Kinderstunde?« fragte Meghan den Kameramann, als sie auf das Haus zu trotteten.
»Die Giants sind im Fernsehen, und wir müssen uns mit den Zwergen abgeben«, nörgelte Steve.
Innerhalb der Villa diente das weitläufige Foyer als Empfangsraum. Die mit Eichenholz verkleideten Wände trugen gerahmte Bilder der Kinder, die ihre Existenz dem Genius moderner Wissenschaft verdankten. Weiter hinten hatte die Halle die Atmosphäre eines behaglichen Zimmers, mit Möbelgruppen, die zu vertraulichen Gesprächen einluden oder für informelle Vorträge umgestellt werden konnten.
Broschüren mit den Berichten dankbarer Eltern waren über die Tische verstreut. »Wir haben uns so sehr ein Kind gewünscht. Unser Leben war unvollständig. Und dann machten wir einen Termin bei der Manning Clinic …«
»Wenn ich zur Geburt eines Babys zu einer Freundin ging, hatte ich Mühe, nicht zu heulen. Jemand hat mir den Vorschlag gemacht, ich sollte mich über künstliche Befruchtung informieren, und fünfzehn Monate später wurde James geboren …«
»Mein vierzigster Geburtstag stand bevor, und ich wußte, daß es bald zu spät sein würde …«
Jedes Jahr erhielten die Kinder, die als Resultat der In-vitro-Befruchtung in der Manning Clinic geboren worden waren, die Einladung, mit ihren Eltern zum alljährlichen Treffen am dritten Sonntag im Oktober dorthin zurückzukehren. Meghan erfuhr, daß man dieses Jahr dreihundert Einladungen verschickt hatte und es Zusagen von über zweihundert der kleinen Adressaten gab. Es war eine große, geräuschvolle und festliche Party.
In einem der kleineren Gesprächszimmer kam Meghan zu einem Interview mit Dr. George Manning zusammen, dem silberhaarigen siebzigjährigen Direktor der Klinik, und bat ihn, die Retortenbefruchtung zu erläutern.
»In allereinfachster Form gesagt«, erklärte er, »ist In-vitro-Befruchtung eine Methode, mit der eine Frau, die normalerweise nicht schwanger werden kann, manchmal in der Lage ist, das Baby – oder auch die Babys – zu bekommen, das sie sich so verzweifelt wünscht. Nach Überprüfung des Verlaufs ihrer Mensis beginnt ihre Behandlung. Sie erhält Fruchtbarkeitspräparate, damit ihre Eierstöcke zur Abgabe einer Fülle von Follikeln stimuliert werden, die dann aufgefangen werden.
Der Partner der Frau wird aufgefordert, eine Spermaprobe abzugeben, zur Insemination, also Befruchtung der Eier, die in den Follikeln im Labor enthalten sind. Am nächsten Tag prüft ein Embryologe, ob und welche Eier befruchtet worden sind. Ist ein Erfolg zu sehen, so setzt ein Arzt eins oder mehrere der befruchteten Eier, die man jetzt als Embryos bezeichnet, in die Gebärmutter der Frau ein. Falls erwünscht, werden die übrigen Embryos durch Kältebehandlung für eine spätere Einpflanzung konserviert, also tiefgekühlt.
Nach fünfzehn Tagen wird Blut für einen ersten Schwangerschaftstest abgenommen.« Der Arzt deutete zu der großen Halle hinüber. »Und wie Sie an der Menge der Leute sehen können, die wir heute hier haben, erweisen sich viele dieser Tests als positiv.«
»Das seh’ ich wirklich«, pflichtete ihm Meg bei.
»Doktor Manning, wie ist das Verhältnis von Erfolg zu Fehlschlag?«
»Noch immer nicht so hoch, wie wir’s gerne hätten, aber mit ständigem Aufwärtstrend«, stellte er feierlich fest.
»Vielen Dank, Herr Doktor.«
Mit Steve im
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