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Das fremde Gesicht

Titel: Das fremde Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Higgins Clark
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»gib der Sache doch mehr als sechs Monate; vergeude nicht deine Ausbildung!«
    Daddy hatte es verstanden. »Laß sie in Ruhe, Liebes«, hatte er entschieden gesagt, »Meg weiß schon, was sie tut.«
    Einmal, als sie klein war, hatte Meghan ihren Vater gefragt, warum er denn so viel verreise.
    »Ach, Meg«, hatte er geseufzt. »Wie wünschte ich doch, es wär’ nicht notwendig. Vielleicht bin ich dazu geboren, ein fahrender Musikant zu sein.«
    Weil er so häufig weg war, versuchte er es immer gutzumachen, wenn er wieder heimkam. So schlug er etwa vor, anstatt zum Drumdoe Inn zu gehen, könnte er für sie beide zu Hause ein Essen zusammenzaubern. »Meghan Anne«, sagte er dann zu ihr, »du bist meine Verabredung.«
    Dieses Büro hatte die Aura ihres Vaters, dachte Meghan.
    Der schöne Kirschbaumschreibtisch, den er in einem Laden der Heilsarmee aufgetrieben und selbst abgezogen und wieder hergerichtet hatte. Der Tisch dahinter mit Bildern von ihr und ihrer Mutter. Die Löwenkopf-Buchstützen mit den Lederbänden dazwischen.
    Seit neun Monaten schon trauerte sie um ihn als Toten.
    Sie fragte sich, ob ihre Trauer um ihn in diesem Augenblick noch größer sei. Falls die Versicherungsleute recht hatten, war er zu einem Fremden geworden. Meghan schaute Phillip Carter in die Augen. »Die haben unrecht«, sagte sie laut.
    »Ich glaube, daß mein Vater tot ist. Ich glaube, daß man noch Wrackteile von seinem Wagen findet.« Sie sah sich um.
    »Aber um dir gegenüber fair zu sein: Wir haben kein Recht, dieses Büro weiter zu belegen. Ich komme nächste Woche rüber und packe seine persönliche Habe zusammen.«
    »Wir kümmern uns schon drum, Meg.«
    »Nein. Bitte. Hier kann ich die Sachen besser aussortieren. Mutter ist schon schlecht genug dran, ohne mitansehen zu müssen, wie ich’s zu Hause mach’.«
    Phillip Carter nickte. »Du hast recht, Meg. Ich mach’
    mir auch Sorgen um Catherine.«
    »Deshalb trau’ ich mich ja nicht, ihr zu erzählen, was neulich abends passiert ist.«
    Sie bemerkte die zunehmende Besorgnis auf seinem Gesicht, während sie ihm von dem Mordopfer berichtete, das ihr ähnlich sah, und von dem Fax, das mitten in der Nacht eintraf.
    »Meg, das ist abstrus«, sagte er. »Hoffentlich bleibt dein Chef bei der Polizei am Ball. Wir können nicht zulassen, daß dir etwas zustößt.«

    Als Victor Orsini seinen Schlüssel in der Eingangstür zum Büro Collins and Carter herumdrehte, stellte er überrascht fest, daß sie nicht abgeschlossen war. Samstagnachmittag konnte er normalerweise davon ausgehen, daß er das Büro für sich alleine hatte. Er war von einer Reihe von Terminen in Colorado zurückgekehrt und wollte die Post und Mitteilungen durchgehen.
    Einunddreißig Jahre alt, mit dauerhafter Sonnenbräune, muskulösen Armen und Schultern und einem schlanken, durchtrainierten Körper, sah er aus wie ein Mann, der sich viel im Freien aufhält. Sein pechschwarzes Haar und seine ausgeprägten Gesichtszüge verwiesen auf seine italienische Herkunft. Seine leuchtendblauen Augen gingen auf seine englische Großmutter zurück.
    Orsini war jetzt seit knapp sieben Jahren für Collins und Carter tätig. Er hatte eigentlich nicht vorgehabt, so lange zu bleiben, ja im Grunde war es schon immer seine Absicht, diese Stelle als Sprungbrett zu einem größeren Unternehmen zu nutzen.
    Seine Brauen hoben sich, als er die Tür aufstieß und die Buchprüfer sah. Auf betont sachliche Weise teilte ihm der leitende Mann mit, Phillip Carter und Meghan Collins hielten sich in Edwin Collins’ Privatbüro auf. Dann weihte er Victor zögernd in die Theorie der Versicherungsleute ein, Collins sei absichtlich verschwunden.
    »Das ist verrückt.« Victor schritt durch die Empfangshalle und klopfte an die geschlossene Tür.
    Carter machte auf. »Ach, Victor, schön, Sie zu sehen.
    Wir haben Sie heute gar nicht erwartet.«
    Meghan wandte sich ihm zur Begrüßung zu. Orsini merkte, daß sie mit den Tränen kämpfte. Er suchte nach geeigneten Trostworten, aber es fiel ihm nichts ein. Die mit der Untersuchung des Falls betrauten Beamten hatten ihn zu dem Telefongespräch befragt, das Ed Collins direkt vor dem Unglück mit ihm führte. »Ja«, hatte er bei der Gelegenheit festgestellt, »Edwin hat gesagt, daß er kurz vor der Brücke ist. Ja, ich weiß es genau – er hat nicht gesagt, daß er von ihr kommt. Denken Sie, ich höre nicht gut? Ja, er wollte mich am nächsten Morgen sprechen.
    Daran war nichts Außergewöhnliches. Ed hat

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