Das fremde Gesicht
einem Kindermädchen zurücklassen wollen.«
Der Fotograf der Klinik hatte mittlerweile seine Bilder geknipst. Einen Moment später schrie er: »Okay, Kinder, danke!« Die Kinder liefen auseinander, und Jonathan kam zu seiner Mutter gerannt. Dina Anderson fing ihren Sohn in ihren Armen auf. »Ich kann mir mein Leben nicht ohne ihn vorstellen«, sagte sie. »Und in ungefähr zehn Tagen bekommen wir Ryan.«
Was für ein gutes Thema von allgemein menschlichem Interesse das abgeben würde, dachte Meghan.
»Mrs.
Anderson«, sagte sie eindringlich, »wenn Sie einverstanden sind, möchte ich gern meinen Chef darauf ansprechen, einen Dokumentarbericht über Ihre Zwillinge zu machen.«
11
Auf der Rückfahrt nach Newtown benutzte Meghan das Autotelefon, um ihre Mutter anzurufen. Ihre Bestürzung, als sich der Anrufbeantworter meldete, wich der Erleichterung, als sie den Gasthof anwählte und erfuhr, Mrs. Collins sei im Speisesaal. »Richten Sie ihr bitte aus, daß ich auf dem Weg bin«, sagte sie zu der Empfangsdame, »und sie dann dort treffe.«
Während der nächsten Viertelstunde fuhr Meghan wie mit automatischer Steuerung. Sie war ganz aufgeregt über die Möglichkeit des Sonderberichts, den sie Weicker vorschlagen wollte. Und sie konnte sich dabei von Mac ein wenig beraten lassen. Er war ein Experte in Genetik.
Er konnte ihr mit seinem Fachwissen zur Seite stehen und ihr Lesematerial geben, mit dem sie sich besser über das ganze Spektrum der Fortpflanzungsmedizin kundig machen konnte, einschließlich der statistischen Daten über Erfolgs- und Mißerfolgsraten. Als der Verkehr zum Stillstand kam, nahm sie ihr Autotelefon und wählte seine Nummer.
Kyle meldete sich. Meghan machte ein erstauntes Gesicht, weil sich sein Tonfall änderte, als er merkte, wer anrief. Was hat der bloß? wunderte sie sich, als er ihre Begrüßung bewußt ignorierte und den Hörer seinem Vater weiterreichte.
»Hallo, Meghan. Was kann ich für dich tun?« Wie immer versetzte ihr das Erklingen von Macs Stimme einen vertrauten stechenden Schmerz. Sie hatte ihn zu ihrem besten Freund erklärt, als sie zehn war, schwärmte für ihn, als sie zwölf war, und hatte sich in ihn verliebt, als sie sechzehn war. Drei Jahre später heiratete er Ginger. Sie war zu der Hochzeit gegangen, und es war einer der schwersten Tage in ihrem Leben. Mac war damals völlig verrückt nach Ginger, und Meg hatte den Verdacht, daß er selbst jetzt, nach sieben Jahren, käme Ginger zur Tür hereinspaziert und stellte ihren Koffer ab, sie immer noch nehmen würde. Meg erlaubte sich nie das Eingeständnis, daß sie es – egal, wie sehr sie sich auch bemühte – nie geschafft hatte, Mac nicht mehr zu lieben.
»Ich könnte die Hilfe eines Profis gebrauchen, Mac.«
Während ihr Wagen an der blockierten Spur vorbeifuhr und schneller wurde, erläuterte sie den Besuch in der Klinik und den Bericht, an dem sie arbeitete. »Und ich brauch’ die Information ziemlich eilig, damit ich die ganze Sache meinem Chef verklickern kann.«
»Ich kann’s dir sofort geben. Kyle und ich wollen gerade zum Drumdoe rüber. Ich bring’s mit. Willst du mit uns essen?«
»Das paßt mir gut. Bis dann.« Sie unterbrach die Verbindung.
Es war fast sieben, als sie die Außenbezirke des Orts erreichte. Es wurde merklich kühler, und der laue Nachmittagswind hatte sich in frische Böen verwandelt.
Das Scheinwerferlicht erfaßte die Bäume, die noch voller Laub standen und sich jetzt ruhelos hin und her wiegten und Schatten auf die Straße warfen. In diesem Augenblick riefen sie ihr das dunkle, wirbelnde Wasser des Hudson ins Gedächtnis.
Konzentriere dich gefälligst darauf, wie du Weicker die Idee für eine Sondersendung über die Manning Clinic beibringst, fuhr sie sich wütend an.
Phillip Carter saß im Drumdoe Inn, an einem Fenstertisch mit drei Gedecken. Er winkte Meghan zu sich herüber. »Catherine ist in der Küche und macht dem Koch die Hölle heiß«, ließ er sie wissen. »Die Leute da drüben«
– er nickte zu einem Tisch in der Nähe – »wollten ihr Steak blutig. Deine Mutter hat gesagt, was sie gekriegt haben, könnte genausogut als Eishockey-Puck durchgehen. In Wirklichkeit war’s halb durch.«
Meghan ließ sich in einen Stuhl fallen und lächelte.
»Das Beste, was ihr passieren könnte, wäre, wenn der Koch kündigen würde. Dann müßte sie in die Küche zurück. Es würde sie ablenken.« Sie langte über den Tisch und berührte Carters Hand. »Danke, daß du
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