Das fünfte Buch: Neue Lebensläufe. 402 Geschichten (German Edition)
Lungenentzündung und einer eitrigen Nierenerkrankung gestorben. Abrupte Heilung. Versprechen, daß sein Leben verschont werde, wenn er rückhaltlos gestehe. Er wußte, daß solche Versprechen nicht gehalten wurden. Die Anklage wegen seines sodomistischen Verhältnisses zu seinem Geliebten wurde fallengelassen. Am Ende wurde er in einen Spezialraum gezerrt, ausgestattet mit einem abschüssigen Betonboden und einer Wand, an die er mit Stricken gefesselt wurde. Von dem Obervollstrecker Wassili Blochin wurde er erschossen. Wochen zuvor war er der Verfolger, eine Partei und die Menschen der Sowjetunion in seinem Rücken. In der Todesstunde war er Einzelner.
Aller Macht entkleidet
Jeschow, zu diesem Zeitpunkt nominell noch nicht entmachtet, war am Neujahrstag 1939 zu betrunken, das NKWD -Hauptquartier Lubjanka an seinen Nachfolger Berija zu übergeben. Er ließ auch die Dossiers, die er über Politbüromitglieder zusammengestellt hatte, in seinem Büro zurück, war nicht fähig, dieses wichtige Pfand aus dem Haus zu bringen und zu verstecken. Am 21. Januar 1939 erschien Jeschows Bild zum letzten Mal in der Prawda . Als Kommissar für die Wassertransportwege war er in den amtlichen Übersichten nicht mehr genannt. Eine mit Bleistift geschriebene Bitte um ein Gespräch mit Stalin wurde ignoriert. Was hätte er in seinem Zustand noch für ein Gespräch führen können? Seine Verhaftung am 10. April wurde in der Presse nicht erwähnt. Die nach dem vor einem Jahr noch allmächtigen Funktionär benannte Stadt Jeschowsk war am 11. April 1939 in Tscherkessk umbenannt.
Noch bis in das Jahr 1940 hinein wurde der Mann peinlich verhört. Boris Rodos, ein träger und boshafter Mann, der das Gespräch führte, wurde ermahnt, den zerbrechlichen, tuberkulösen Alkoholiker Jeschow nicht umzubringen. Rodos neigte zum Prügeln. Jeschow bekannte Spionage, Verschwörung gegen die Regierung, Mord und Sodomie. Essaulow, ein sanfterer Verhörbeamter, löste Rodos ab. Jeschow begrenzte seine Geständnisse auf Spionage. Am 3. Februar 1940 fand der Prozeß unter Vorsitz von Richter Ulrich statt. Noch vor Jahresfrist hatte dieser Richter dem NKWD -Chef Jeschow Blumen und Branntwein gebracht. Die Richter taten eine halbe Stunde lang so, als würden sie überlegen. Nach dem Todesurteil gekritzeltes Gnadengesuch. Telefonisch dem Kreml vorgelesen. Verworfen.
Die Entmachtungsprozedur war so inszeniert, daß nach dem Schock der Verhaftung und der ersten Nacht im April 1939 Verschärfungen und dann Milderungen eintraten. Zuletzt erhielt der Entmachtete eine ungewöhnlich lange Redezeit unmittelbar vor dem Urteil. »Erschießt mich friedlich, ohne langen Todeskampf«, sagte Jeschow am Schluß seiner Rede. 346 Gefährten Jeschows wurden erschossen: 60 NKWD -Mitarbeiter, 50 Sexualpartner und Angehörige.
Abb.: Jeschow, der Henker, vertraulich mit Stalin.
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Abb.: Genrich Jagoda, Jeschows Vorgänger, nach mörderischem Einsatz selber zum Tode verurteilt und erschossen.
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Abb.: Jeschow mit Lieblingstochter.
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Abb.: Molotow mit Tochter.
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Abb.: Lawrentij Berija, Erbe der Geheimdienste. Erschossen 1953. Insolvenzverwalter der Kälte.
Körperwut
Es gibt Leiber, die sich nach Blutdruck, Kreislauf, Verdauung, Konsistenz der Hautoberfläche und nach NARZISSTISCHEM SELBSTGEFÜHL von Jugend an als ausgefüllt empfinden. Ihrer Körperhaltung sieht man an, daß sie zu solchem Körper wenig vom komplementären Geist brauchen, der nach Andrej Tarkowskis und Rudolf Steiners Ansicht von den Sternen kommt und die strenge Körperlichkeit mildert. Ergreift ein solch robustes Lebewesen die Macht, so muß die Menschheit oft lange warten, bis es abtritt durch Tod. Es ist nämlich durch seine aggressive Zufriedenheit und oft sadistische Psychologie besonders geeignet, seine Macht zu verteidigen.
NOCH IN DER BLINDESTEN ZERSTÖRUNGSWUT LÄSST SICH NICHT VERKENNEN , DASS IHRE BEFRIEDIGUNG MIT EINEM AUSSERORDENTLICH HOHEN NARZISSTISCHEN GENUSS VERKNÜPFT IST (Sigmund Freud, Das Unbehagen in der Kultur , GW XIV , 1930, S. 480).
Fehlen der Vernichtungswut bei Hirschartigen
Der konsequente Darwinismus, wie er in den USA seine Pflanzstätten besitzt, war lange Zeit durch die sowjetische Orthodoxie in Rußland überdeckt gewesen. Merkwürdigerweise neigten diese Materialisten zum Lamarckismus. Jetzt hat Vladimir Sobotkin in Akademgorodok ein inzwischen verzweigtes Institut geschaffen, das in seiner Darwin-Renaissance selbst die US -Eliteuniversitäten
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