Das fuenfte Maedchen
ab, was nicht zu Jinn gehörte.
Es war nicht nur der Altersunterschied. Jinn war schlagfertig und unglaublich intelligent. Jinn redete unentwegt und war wie eine Glucke. Es spielte eigentlich keine Rolle, dass Lara schusselig und ein bisschen exzentrisch war (und um ehrlich zu sein, ein bisschen nuttig), denn so weit meine Erinnerung zurückreicht, hat Jinn sich um all meine Bedürfnisse gekümmert. Genau genommen hat sie sich um jede meiner Launen gekümmert, bis zu dem Punkt, dass sie sie vorausahnte, sie herausforderte, für mich sprach. Ich brauchte nie zu sprechen, und ich wusste, dass ich nie irgendetwas so gut sagen könnte wie sie, also machte ich mir keine Gedanken. Ich nahm es ihr nicht übel. Ich war stolz, dass die geistreiche, kecke Jinn für mich sprach. Dadurch wurde ich fürs Sprechen verdorben.
Jinn hatte ein ausgesprochen hübsches Gesicht: eines, das sich veränderte, wenn sie lächelte, aber nicht zu stark. Sie hatte dieselbe blasse Haut wie ich, doch ihr blondes Haar hatte genau den richtigen Grad an Widerspenstigkeit. Meine Haare waren mausgrau und absolut unauffällig. Deswegen habe ich sie, sobald ich den Mut dazu hatte, gefärbt. Als Erstes färbte ich sie orangerot (»Zimtbraun« stand auf der Schachtel). Ich dachte, ich würde nie den richtigen Farbton hinkriegen, bis ich eines Tages, so als würden die Follikelgötter mir eine Botschaft schicken, die Schachtel mit meinem Namen darauf sah. Ich liebte das dunkle, dramatische Burgunderrot. Ich fiel damit ein bisschen auf, denn ich habe eins von den Gesichtern, die die Leute sich nicht merken. Völlig normale Augen, unspezifische Wangenknochen, eine leicht zu vergessende Nase. Ohne Jinn an meiner Seite würde Nathan Baird nicht gewusst haben, wer ich bin.
Was für mich okay gewesen wäre.
Es gefiel mir nicht, wie nah Jinn und Nathan beieinander saÃen, als ich zurück zur Düne trottete, doch als Jinn mich kommen sah, stand sie abrupt auf und klopfte sich den Sand von ihrer abgeschnittenen Jeans.
»Ich muss zur Arbeit.« Unnötigerweise schaute sie auf die Uhr.
Gut, dachte ich. Mir war warm, und ich hatte schon wieder Durst, und ich wollte was umsonst aus dem Mini-Markt, und überhaupt war es höchste Zeit, dass Jinn die Unterhaltung beendete.
»Ich geh mit«, sagte Nathan.
Mist, dachte ich.
Nathan konnte nicht gehen, selbst wenn man ihn dafür bezahlt hätte, er konnte nur stolzieren. Kein Wunder, denn ich sah, dass Jinn eine neue Halskette trug: einen Bernstein, der einen überrascht dreinblickenden Moskito umschloss. Sie hob immer wieder die Hand, um sie zu berühren. Der Bernstein war transparent und goldfarben, rein und makellos, gröÃer als mein oberstes Daumengelenk. Die Kette war aus dicken Silbergliedern.
»Wo hast du die gestohlen?«, fragte ich.
Jinn schlug mir ziemlich fest auf den Arm. Nathan sagte: »Oh, es spricht «, und ignorierte mich dann.
Ich fiel zurück, mürrisch und eifersüchtig. Dieses Mal watete Jinn nicht durch den Fluss: zu würdelos in Gegenwart von Nathan Baird, und ich hatte das unangenehme Gefühl, dass sie auf Zeit spielte. Sie wählte stattdessen den langen Weg auÃen rum, über die wacklige Brücke. Tripp-trapp, tripp-trapp über die wacklige Brücke. Als ich deren Ende erreichte, schaute ich wie immer nach unten â nach dem Troll.
Kein Troll, aber die Dicke Bertha stand vor dem Mini-Markt und rauchte. Sie stand in einem kleinen Hexenkreis von Kippen, die Arme vor ihren massigen Brüsten verschränkt, wobei jedoch eine Hand in der Luft tanzte und mit der Zigarette herumwedelte, bevor sie einen weiteren tiefen Zug nahm. Neben ihr entlud der Mann von Molotow Mixers einen Laster. Eine Plastikkiste auf die andere; und jedes Mal ein Krachen, als würde ein Fenster zu Bruch gehen. Der Lärm hallte vom Asphalt und den spröden Wänden wider, doch die Dicke Bertha blieb ungerührt. Sie deutete mit ihrer Zigarette auf Jinn.
»Du bist früh dran, Schatz.« Aber sie lächelte nicht so, wie sie es sonst immer tat. Sie sah Nathan Baird streng an.
»Weil ich meinen Job so sehr liebe«, sagte Jinn. »Ich konnte es gar nicht erwarten herzukommen.«
Rums, eine weitere Kiste. Bertha rollte die Augen, klopfte ihre Zigarettenasche ab und unterdrückte ein Lächeln. »Lass Kim auf keinen Fall früher gehen. Du springst zu oft für sie ein. Sie muss ihre
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