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Das fünfte Zeichen

Titel: Das fünfte Zeichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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Sternen aufgeschaut und geredet und geredet. Er hatte geglaubt, sie sei die letzte Liebe seines Lebens.
    » Nein, vom Zehner bin ich nie gesprungen «, sagte er.
    » Nie? «
    Harry hörte die Enttäuschung in Olegs Stimme. » Nie. Nur gefallen. «
    » Gefallen? « Oleg sprang auf. » Aber das ist noch cooler. Haben viele dabei zugesehen? «
    Harry schüttelte den Kopf. » Das ist in der Nacht passiert. Da war ich ganz allein. «
    Oleg stöhnte. » Wofür ist das denn gut? Mutig zu sein, wenn keiner guckt …? «
    » Das frage ich mich manchmal auch. « Harry versuchte, Rakels Blick einzufangen, doch ihre Brillengläser waren zu dunkel. Sie hatte die Tasche gepackt, ein T-Shirt und einen kurzen blauen Jeansrock über den Bikini gezogen.
    » Aber dann ist es auch am schwierigsten «, sagte Harry. » Wenn du allein bist und niemand zuschaut. «
    » Danke, dass du mir diesen Gefallen tust, Harry «, sagte Rakel. » Das ist wirklich nett von dir. «
    » Das macht mir doch Spaß «, sagte er. » Nimm dir so viel Zeit, wie du brauchst. «
    » Wie der Zahnarzt braucht «, sagte sie. » Hoffentlich nicht so lange. «
    » Wie bist du denn raufgekommen? «, fragte Oleg.
    » Wie gewöhnlich «, sagte Harry, ohne den Blick von Rakel zu wenden.
    » Gegen fünf bin ich wieder da «, sagte sie. » Rührt euch nicht von der Stelle. «
    » Hier rührt sich gar nichts «, sagte Harry und ärgerte sich, kaum dass die Worte heraus waren. Es war weder der Ort noch die Zeit für Andeutungen jedweder Art. Es würden sich bessere Gelegenheiten ergeben.
    Harry folgte ihr mit den Augen, bis sie verschwunden war. Fragte sich, ob es schwierig gewesen war, mitten in den Ferien einen Termin beim Zahnarzt zu bekommen.
    » Willst du zusehen, wie ich vom Fünfer springe? «, fragte Oleg.
    » Klar «, sagte Harry und zog sich das T-Shirt aus.
    Oleg starrte ihn an.
    » Sonnst du dich nie, Harry? «
    » Nie. «
    Nachdem Oleg zweimal gesprungen war, zog Harry seine Jeans aus und stieg mit auf den Sprungturm. Er erklärte Oleg, wie man Klappmesser machte, während andere hinter ihnen missbilligende Blicke auf seine schlabberigen Boxershorts mit der EU-Flagge warfen.
    Er hielt die Hand gerade ausgestreckt. » Die Kunst ist es, waagerecht in der Luft zu liegen. Sieht ziemlich übel aus. Die Leute glauben dann, dass man gleich flach auf dem Wasser aufklatscht. Aber im letzten Augenblick … «, Harry presste Daumen und Zeigefinger zusammen, » … klappst d u d ich in der Mitte zusammen wie ein Messer und tauchst mit Händen und Füßen gleichzeitig ins Wasser. «
    Harry nahm Anlauf und sprang. Er hörte noch die Pfeife des Bademeisters, ehe er sich zusammenklappte und die Wasserfl ä che mit der Stirn durchbrach.
    » He, Sie, ich hab gesagt, der Fünfer ist gesperrt «, hörte er die Megafonstimme meckern, als er wieder auftauchte.
    Oleg gab ihm ein Zeichen vom Sprungturm, und Harry bede u tete ihm mit nach oben gestreckten Daumen, dass er verstanden hatte. Er stieg aus dem Wasser, ging die Treppe nach unten und stellte sich an eins der Fenster, durch die man in das Becken schauen konnte.
    Er fuhr mit den Fingern über das kühle Glas und zeichnete etwas in das Kondenswasser darauf, während er in die blaugrüne Unterwasserlandschaft starrte. Wenn er zur Oberfläche blickte, konnte er Badehosen sehen, strampelnde Beine und die Kont u ren einer Wolke am blauen Himmel. Er dachte ans Underwater.
    Dann kam Oleg. Er bremste in einer Wolke aus Luftblasen, doch statt zur Oberfläche zu schwimmen, strampelte er mit den Beinen und tauchte zu dem Fenster, hinter dem Harry stand.
    Sie blickten einander an. Oleg lächelte, fuchtelte mit den Armen herum und machte Zeichen. Sein Gesicht wirkte blass und grünlich. Harry hörte nicht einen Laut, er sah nur, wie Olegs Mund sich bewegte, während seine schwarzen Haare den Kopf wie schwerelos umgaben, wie Seegras tanzend in die Höhe wuchsen. Das erinnerte Harry an etwas. Er wollte in diesem Moment gar nicht daran denken. Doch während sie so dasta n den, jeder auf seiner Seite der Scheibe, die brennende Sonne über sich, umgeben vom sorglosen Trubel des Lebens und gleichzeitig in absoluter Stille, hatte Harry plötzlich eine Vorah nung. Etwas Schreckliches würde geschehen.
    Im nächsten Augenblick hatte er es vergessen. Ein anderes Gefühl bemächtigte sich seiner, als Oleg mit den Beine n t retend aus dem Bild verschwand und Harry gleichsam auf den leeren Fernsehschirm starrend stehen blieb. Der leere Fernsehschirm. Mit

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