Das fünfte Zeichen
Strahlen auf die Dachziegel schickte, ließ sie ihn los.
KAPITEL 1 9
Mittwoch. Unter Wasser
A ls Harry kurz vor drei seinen Wagen vor dem Frognerbad parkte, ging ihm auf, wo sich die Osloer aufhielten, die nicht verreist waren. Vor der Kasse war eine Schlange von beinahe hundert Metern Länge. Er warf einen Blick in die Zeitung, während sich die Menge schlurfend, Schritt für Schritt, auf die gechlorte Erlösung zubewegte.
Im Fall des Serienmörders meldete die VG nichts Neues, und dennoch hatten sie Material für vier volle Seiten ausgegraben. Die Überschriften waren teilweise mehr als kryptisch und zielten auf Leser ab, die von Anfang an die Berichterstattung verfolgt hatten. Nun war die Rede von den Fahrradkuriermo r den. Alles war bekannt, die Polizei hatte den Medien gegenüber keinen Vorsprung mehr. Und Harry nahm an, dass die morgen d lichen Redaktionssitzungen denen im Morddezernat zum Ver wechseln ähnelten. Er las Aussagen von Zeugen, mit denen sie selbst gesprochen hatten, die sich aber in den Zeitungen doch noch an etwas mehr erinnerten. Befragungen, in denen die Menschen ihrer Angst Luft machten, großer Angst, Panik. Dazu Stellungnahmen der Kurierfirmen, die auf Entschädigung hofften. Sie könnten schließlich nicht arbeiten, solange die Behörden diesen Typ nicht gefasst hätten, weil ihre Fahrradk u riere nicht eingelassen würden. Die Verbindung zwischen den Kuriermorden und Lisbeth Barlis Verschwinden wurde nicht mehr als Spekulation, sondern als Tatsache betrachtet. Unter der Überschrift » In den Fußstapfen ihrer Schwester «, prangte ein großes Bild von Toya Harding und Willy Barli auf de r B ühne des Nationaltheaters. In der Bildunterschrift hieß es: » Dem energischen Produzenten ist es nicht in den Sinn gekommen, die Vorstellungen abzusagen. «
Harry überflog den Lauftext. Willy Barli wurde zitiert: » Der Ausdruck › The show must go on ‹ ist mehr als ein oberflächl i ches Klischee. In unserer Branche ist das blutiger Ernst, und ich weiß, dass Lisbeth bei uns ist, egal, was geschehen ist. Aber natürlich belastet uns die Situation. Trotzdem versuchen wir, die Energie positiv zu nutzen. Das Stück wird so oder so eine Hommage an Lisbeth, eine große Künstlerin, die ihr wahres Potenzial nicht einmal zeigen konnte. Aber das wird sie noch. Ich kann mich einfach nicht dazu durchringen, etwas anderes zu glauben. «
Endlich im Schwimmbad, blieb Harry stehen und sah sich um. Es mussten zwanzig Jahre vergangen sein, seit er zuletzt im Frognerbad gewesen war. Außer ein paar neu gestrichenen Fassaden und einer großen, blauen Wasserrutsche hatte sich nicht viel verändert. Der Chlorgeruch; die fein verstäubten Wassertropfen, die von den Duschen auf das Schwimmbecken zuwehten und einen Regenbogen malten; das Geräusch der nackten Füße auf dem Asphalt; die im Schatten vor dem Kiosk in ihren nassen Badehosen schlotternden Kinder.
Er fand Rakel und Oleg auf der leicht abschüssigen Wiese vor dem Kinderbecken.
» Hallo. «
Rakels Mund lächelte, aber es war schwer zu sagen, was ihre Augen hinter der großen Gucci-Sonnenbrille taten. Sie trug einen gelben Bikini. Gelbe Bikinis standen nur wenigen Frauen. Rakel war eine von ihnen.
» Weißt du was «, stotterte Oleg. Er hatte den Kopf auf die Seite gelegt und versuchte, Wasser aus seinem Ohr zu beko m men. » Ich bin vom Fünfer gesprungen! «
Harry setzte sich neben ihnen ins Gras, obwohl auf der Decke noch reichlich Platz war.
» Jetzt schneidest du aber ganz gewaltig auf. «
» Nein, das ist wahr! «
» Vom Fünfer. Du bist ja der reine Stuntman. «
» Bist du schon mal vom Fünfer gesprungen, Harry? «
» Denke schon. «
» Und vom Siebener? «
» Von da oben habe ich einen Bauchklatscher gemacht. «
Harry sah Rakel vielsagend an, die aber betrachtete Oleg, der plötzlich mit dem Kopfschütteln aufhörte und mit gesenkter Stimme fragte: » Und vom Zehner? «
H arry blickte zum Sprungturm hinüber, von wo lauter Jubel und die krächzende Megafonstimme des Bademeisters herübe r schallten. Der Zehner. Der Sprungturm zeichnete sich als schwarzweißes T vor dem blauen Himmel ab. Es war doch keine zwanzig Jahre her, seit er zuletzt im Frognerbad gewesen war. Ein paar Jahre später war er in einer Sommernacht hier gewesen. Kristin und er waren über den Zaun geklettert und hatten den Sprungturm erklommen, wo sie ganz oben Seite an Seite gelegen hatten. Die grobe, stechende Matte unter ihrer Haut, hatten sie zu den
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