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Das fünfte Zeichen

Titel: Das fünfte Zeichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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Echo von Duke Ellington klang ihm noch in den Ohren. Dort war es nicht, es lag tiefer. Er horchte weiter in sich hinein. Er hörte das Kreischen einer Straßenbahn, Katzenpfoten auf dem Dach und ein nichts Gutes verheißendes Rauschen in der in lautem Grün explodierenden Birke im Hinterhof. Noch weiter. Er hörte Stimmen im Haus, das Knacken des Fensterkitts, das Grummeln der leeren Kellerräume weit unten in der Tiefe, das scharfe Schaben der Laken an seiner nackten Haut und das ungeduldige Klappern von Schuhen im Flur. Er hörte seine Mutter flüstern, wie sie es immer vor dem Einschlafen an seinem Bett tat: » Am Abend, als alle schlafen wollten, am Abend kam … «
    Und dann war er im Traum.
    Dem Traum der Nacht. Er war blind, er musste blind sein, denn er konnte nur hören.
    Er hörte im Hintergrund eine leise Stimme, die leiernd etwas wie ein Gebet murmelte. Die Akustik ließ auf einen großen, kirchenartigen Raum schließen. Unablässiges Tropfen. Unter dem hohen Gewölbe, wenn es denn eines war, rasches Flüge l schlagen. Tauben? Es hörte sich an, als leite ein Priester oder Prediger eine Seance, doch die Liturgie klang seltsam. Fremda r tig. Fast wie Russisch oder Zungensprache. Die Gemeinde stimmte in einen Psalm ein. Eine merkwürdige Harmonie. Kurze, abgehackte Zeilen. Keine bekannten Worte wie Jesus oder Maria. Da schwieg die Gemeinde, und ein Orchester begann zu spielen. Er erkannte die Melodie. Aus dem Ferns e hen. Moment. Er hörte ein Geräusch. Ein Rollen. Wie ein rollender Ball. Er blieb liegen.
    » Fünf «, sagte eine Frauenstimme. » Die Fünf. «
    In diesem Moment drang er durch.
    Der Code.

 
    KAPITEL 23
Freitag. Des Menschen Zahl
    H arrys Offenbarungen nahmen in der Regel die Form kleiner, eiskalter Tropfen an, die ihm auf den Kopf fielen. Nicht mehr.
    Natürlich kam es auch vor, dass er in die Richtung schaute, aus der die Tropfen kamen, und den ursächlichen Zusamme n hang erkannte. Diese Offenbarung jedoch war anders. Diese Offenbarung war ein Geschenk; etwas Gestohlenes; die unve r diente Gunst eines Engels; Musik, wie sie zu Menschen wie Duke Ellington kommen konnte, fix und fertig, aus einem Guss wie im Traum, so dass man sich nur noch ans Klavier setzen, sie spielen musste.
    Und das war es, was Harry jetzt tun wollte. Für dreizehn Uhr hatte er sich das Konzertpublikum in sein Büro bestellt. Genug Zeit für das Eigentliche: den letzten Teil des Codes. Dafür brauchte er nur den Leitstern und eine Sternenkarte.
    Auf dem Weg ins Büro war er in eine Schreibwarenhandlung gegangen und hatte sich ein Lineal besorgt, Winkelmesser, Zirkel, den dünnsten Folienstift, den sie hatten, und ein paar Folien. Er begann sofort, als er im Büro war. Holte die große Oslokarte hervor, die er von der Wand gerissen hatte, klebte einen Riss, glättete die Knicke und heftete die Karte wieder an die Längswand des Raumes. Dann zeichnete er mit dem Zirkel einen Kreis auf die Folie und darauf in gleichmäßigem Abstand von zweiundsiebzig Grad fünf Punkte und zog anschließend mit dem Folienstift gerade Linien entlang des Lineals zwischen den gegenüberliegende n P unkten. Als er fertig war, hielt er die Folie ins Licht. Der Drudenfuß.
    Der Tageslichtprojektor aus dem Besprechungszimmer war verschwunden. Harry stürmte ins Sitzungszimmer des Raubd e zernats, in dem Ivarsson, der Leiter des Dezernats, vor ein paar zwangsrekrutierten Urlaubsvertretungen seinen üblichen Vor trag hielt, der unter Kollegen gerne auch als die Neunmalklug-Nummer bezeichnet wurde.
    » Unser Fall hat Priorität «, sagte Harry einfach, zog den St e cker aus der Dose und schob den Projektor an einem verblüfften Ivarsson vorbei aus dem Raum.
    Zurück im Büro legte Harry die Folie auf den Projektor, richtete das Lichtviereck auf die Karte und schaltete die D e ckenbeleuchtung aus.
    Er hörte seinen eigenen Atem in dem verdunkelten, fensterl o sen Raum, während er die Folie hin und her bewegte, den Projektor näher schob und wieder zurück, um den schwarzen Schatten des Sterns so auszurichten, dass es endlich stimmte. Denn es stimmte. Natürlich stimmte es. Er starrte auf die Karte, zog einen Ring um zwei Hausnummern und führte ein paar Telefonate.
    Dann war er bereit.
     
    U m fünf nach eins saßen Bjarne Møller, Tom Waaler, Beate Lønn und Ståle Aune mucksmäuschenstill auf geliehenen Stühlen in Harrys und Halvorsens Zweierbüro.
    Harry hockte auf der Kante seines Schreibtisches. » Es ist ein Code «, begann er. » Ein

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