Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das gefrorene Licht. Island-Krimi

Das gefrorene Licht. Island-Krimi

Titel: Das gefrorene Licht. Island-Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yrsa Sigurðardóttir
Vom Netzwerk:
man am besten vorgeht. Birna musste aufgehalten werden. Sie hat nicht auf mich gehört, als ich ihr gesagt habe, dass das ein schlechter Bauplatz ist. Wenn sie nur auf mich gehört hätte, wäre alles in Ordnung gewesen.« Bertha zögerte. »Aber ich hab’s gemacht, um Steini zu retten«, sagte sie. Dóra war sich nicht sicher, ob Bertha versuchte, sich vor ihr und vor ihrem eigenen Gewissen zu rechtfertigen. »Das war das mindeste, was ich tun konnte. Es ist meine Schuld, was mit ihm passiert ist. Ich hab ihn an dem Abend, als der Unfall passiert ist, angerufen und gebeten, mich abzuholen. Er kann nicht in Reykjavík leben. Jetzt geht es ihm noch schlechter, weil er glaubt, was ich getan habe, wäre seine Schuld. Er bittet mich ständig, ihm zu verzeihen. Aber ich habe selbst entschieden, mich für ihn einzusetzen, also gibt’s nichts zu entschuldigen. Ich hab es nur für ihn getan.« Ihre Knie gaben nach.
    »Ist ja gut«, sagte Dóra ruhig und half dem Mädchen rasch wieder auf die Beine, »ist ja gut.« Sie gingen auf den Hof zu, wobei Dóra Bertha stützte, damit sie nicht noch einmal hinfiel. Das Heulen begann erneut, hörte aber schnell wieder auf. Dóra war froh, als sie die Stufen erreicht hatten. Das Mädchen zitterte wie Espenlaub. Dóra warf einen Blick zurück über die Schulter, drückte die Klingel und hoffte, dass schnell jemand zur Tür käme. Als sie endlich aufging, stand Rósa im Türrahmen. Sie sagte kein Wort, starrte nur auf etwas hinter ihnen. Dóra drehte sich um, nahezu sicher, einen Wiedergänger zu erblicken, der sich mit einem Arm die Stufen hinaufschleppte.
    » Gulli!«, rief Rósa. »Da bist du ja, du ungezogener Kater. Wo warst du nur?« Das Weinen hörte sofort auf. »Feine Miezekatze!«, sagte sie mit schmeichelnder Fistelstimme. »Komm her, du Bengel.« Der braungestreifte Kater stolzierte in aller Ruhe miauend die Stufen hinauf.

35 . KAPITEL
    SONNTAG , 18 . JUNI 2006
    Die Getränke aus der Minibar waren teuer, aber Dóra fand, sie waren jede Krone wert. Sie stellte die Dose ab und schmiegte sich in den dicken, weißen Bademantel. Anschließend trat sie ans Hotelfenster, zog die Gardinen ein Stück zur Seite und schaute über den Austurvöllur-Platz. Es waren kaum Passanten unterwegs, und die wenigen Gestalten, die schon auf den Beinen waren, wirkten wie Gestrandete des vergangenen Abends. Dóra lächelte still. Sie ließ die Gardine los und ging wieder zum Bett mit dem schlafenden Matthias. Wenn sie endlich einmal jemanden kennenlernte, der weder geschieden noch Säufer, kein Wichtigtuer und kein Sportfanatiker war, dann musste es ausgerechnet ein Ausländer sein, der kaum dazu zu bringen sein dürfte, nach Island zu ziehen.
    Aber vielleicht war genau das der Grund dafür, warum er ihr so gut gefiel.
    Irgendwo im Zimmer erklang das dumpfe Klingeln ihres Handys. Dóra lokalisierte es in ihrer Handtasche, die über einem Stuhl am Fußende des Bettes hing. Sie beeilte sich, ranzugehen. »Hallo«, flüsterte sie und ging ins Badezimmer, um Matthias nicht zu wecken.
    »Mama!«, kreischte Gylfi, »Sigga stirbt!«
    Dóra schloss die Augen und fasste sich an die Stirn. Sie hatte Gylfi und Sigga alleine mit Sóldís zu Hause gelassen – damit Matthias und sie in seiner letzten Nacht in Island ihre Ruhe hätten. Ihr Sohn und seine Freundin mussten sich schließlich bald um ein Baby kümmern, da sollten sie durchaus in der Lage sein, eine Nacht auf ein siebenjähriges Mädchen aufzupassen. »Gylfi«, sagte Dóra, »sie stirbt nicht. Sie bekommt nur ein Baby.« Ein Schmerzensschrei von Sigga drang durch die Leitung. »Geht es ihr sehr schlecht?«
    »Mama, sie stirbt!«, protestierte Gylfi. »Ich meine es ernst. Hör doch!« Die Schreie wurden lauter, hörten dann aber plötzlich auf. »Es kommt und geht.«
    »Das sind die Wehen, Schatz«, sagte Dóra ruhig, obwohl sie sich keineswegs so fühlte. »Ich komme. Zieh dich und deine Schwester an, und wenn Sigga sich anziehen kann, gut und schön, sonst kommt sie einfach so mit, wie sie ist.« Dóra öffnete die Badezimmertür und trat ins Zimmer. »Hat Sigga ihre Mutter schon angerufen? Ist die unterwegs?«, fragte sie, während sie ihre Klamotten zusammensuchte.
    »Nein«, sagte Gylfi düster, »Sigga möchte, dass ich sie anrufe, aber ich bringe es nicht fertig. Sie ist so ätzend.«
    Dóra konnte nicht widersprechen, forderte ihren Sohn aber dennoch auf, anzurufen. Siggas Eltern würden ihrer Tochter mit Sicherheit beistehen wollen. Es würde

Weitere Kostenlose Bücher