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Das geheime Bild

Das geheime Bild

Titel: Das geheime Bild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliza Graham
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dein iPhone zur Hand? Wir machen ein Foto.« Eine Hand wanderte zu einer Tasche.
    »Danke.« Ich streckte meine Hand nach dem Telefon aus. »Du kennst die Regeln, was Mobiltelefone angeht. Nach der Versammlung kannst du es bei mir abholen.« Der zweite Junge ließ mürrisch das Telefon in meine Hand fallen.
    »Da drinnen haben satanische Rituale stattgefunden«, murmelte ein anderer. »Deshalb lässt Mr. Radcliffe uns nicht sehen, was in der Schachtel ist.«
    »Hast du auf dem Fußboden etwa ein Pentagramm gesehen?«
    »Manchmal bringen sie Hühner um. Ich habe in den Ferien einen Film gesehen …«
    Ich schob das Mobiltelefon in meine Tasche und drückte die Türklinke nieder. Sie gab nicht nach.
    » Mr. Radcliffe hat abgeschlossen«, teilte mir jemand hilfsber eit mit. Ich klopfte, und die Tür ging auf. Simon stand vor mir, sein rundes, freundliches Gesicht war bleich.
    »Meredith, Gott sei Dank.« Er winkte mich hinein und schloss die Tür vor den neugierigen Augen der Schüler. Auf einem der Pulte stand ein Pappkarton. Er hatte etwa die Größe einer großen Schuhschachtel. »Kannst du die Polizei anrufen? Der Akku meines Mobiltelefons ist leer.«
    »Was ist da drin?« Ich näherte mich dem Pult. Er streckte eine Hand aus, um mich davon abzuhalten, den Deckel der Schachtel zu berühren.
    »Du siehst es dir am besten gar nicht erst an. Das würde der Polizei nicht gefallen.«
    Ich zog meine Hand weg, aber nicht ohne den Deckel ein klein wenig gelüftet zu haben. »Was meinst du mit Polizei? Was ist da drin, Simon?«
    Er wandte sich mir zu. »Ein Baby.«
    »Was?«
    »Ein totes Baby, Meredith. O mein Gott.« Er führte eine Hand zum Mund und hustete. Ich schielte auf den Spalt, der durch den verschobenen Deckel entstanden war, und meinte, etwas Helles und Zartes in der Schachtel zu entdecken, geformt wie eine eingedrehte Muschel. Oder die Hand eines Kindes. Ich starrte auf den undeutlichen Umriss. In der Schachtel blitzte etwas Metallisches auf. Simon hatte den kleinen Sarg auf eins der Mädchenpulte gestellt, sodass er neben einem flauschigen Federmäppchen in Neongrün stand: Stifte, Zirkel und Lineal waren zu sehen.
    »Wo hast du es gefunden?« Ich konnte kaum sprechen.
    »Im Schrank.« Dabei zeigte er nickend auf den großen Eichenschrank in der Ecke. »Ich wollte nach Lehrbüchern suchen. Da sah ich die Schachtel und fragte mich, was das wohl sein mochte.« Seine Augen weiteten sich bei der Erinnerung daran. »Hätte ich bloß nicht während der Stunde hineingesehen. Als ich den Inhalt sah, schloss ich die Schachtel sofort wieder und schickte die Kinder aus dem Raum. Ich glaube nicht, dass eins von ihnen die … sah, was drin ist.« Er schluckte. »Vielleicht hätte ich die Schachtel besser im Schrank gelassen. Hoffentlich habe ich keinen Tatort zerstört oder so.«
    »Das hast du gewiss nicht. Und es war richtig, die Kinder hinauszuschicken.«
    »Geh bitte und ruf die Polizei, Meredith«, sagte er wieder. »Und sag auch deinem Vater Bescheid. Ich werde den Raum abschließen, bis sie hier sind.«

3
    D ie letzten Minuten vor einer Lehrerkonferenz waren normalerweise mit Klatsch oder Beschwerden darüber gefüllt, dass jemand alle Milch aufgebraucht oder sich die letzten Schokoplätzchen unter den Nagel gerissen hatte. Der Raum, in dem sie stattfand, war eichenvertäfelt, wie die meisten Räume in Letchford, abgesehen von der Eingangshalle. Früher war das Lehrerzimmer eine Bibliothek gewesen, in die sich zur Zeit Edwards die Männer nach dem Essen zurückzogen, um über Rennpferde, Jagdhunde und Mätressen zu plaudern. Man konnte heute noch die hier im Laufe des letzten Jahrhunderts unzähligen gerauchten Zigarren riechen, inzwischen allerdings überlagert vom Geruch staubiger Lehrbücher und feuchter Sportschuhe der Sportlehrer.
    Nur mein Vater fehlte noch. Ich hielt noch immer mit einem halben Auge Ausschau nach meiner Mutter. Normalerweise hätte sie den Raum vor meinem Vater mit einem knappen Lächeln für jeden betreten. Oftmals hatte ich gesehen, wie sie in einer Ecke in aller Ruhe mit jemandem sprach. Dabei pflegte Mum zu nicken und ihre Augen unverwandt auf ihr Gegenüber zu richten. Ihre Gesprächspartner saßen dann sofort aufrechter. Möglicherweise lächelten sie sogar. Sie war der perfekte Gegenpart meines Vaters gewesen, der zwar auf geniale Weise die Rolle des englischen Gentlemans kultiviert, doch nie seine mitteleuropäische Ernsthaftigkeit abgelegt hatte.
    Unruhe breitete sich aus, die

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