Das geheime Verlangen der Sophie M.
Aufmerksamkeit, versuchte aber, im Auge zu behalten, dass es nichts zu bedeuten hatte und dass Menschen wie er ihr Leben am Ende nicht mit Menschen wie mir teilten, selbst wenn ich das gewollt hätte, und dessen war ich mir nicht so sicher. Da musste doch noch ein Haken sein, und wenn ich Zeit genug hätte, würde ich ihn entdecken. Besorgniserregend war, dass ich ihn mit jeder weiteren SMS mehr mochte. Eine Zeit lang versuchte ich, dem Drang zu widerstehen, ihm gleich zu antworten, um zu verbergen, wie sehr ich darauf brannte, aber es war eine riesige Anstrengung. Ich ertappte mich dabei, wie ich wieder und wieder seine Nachrichten las, und konnte nicht umhin, ihm zumindest ein paar Antwortzeilen zu schreiben. Er war sprachgewandt und unterhaltsam, er klang wie in der Fernsehserie Im Zentrum der Macht , und das fand ich positiv. Langsam lernten wir uns, unseren Alltag und unsere Gemeinsamkeiten besser kennen. Wir flirteten, und bei manchen seiner Äußerungen wurde ich ganz aufgeregt – jedenfalls hätte ich es zugelassen, wenn mein Kuss am Taxistand ihn nicht ein wenig verstört hätte. Diese erste Reaktion machte mir klar, dass er mit meiner Art von Sex, die für mich mittlerweile alles entscheidend war, wahrlich nicht zurechtkam. Trotz dieses Wissens, trotz allem, in dem wir nicht zusammenpassten – unser Kontostand, unser gesellschaftlicher Status, unsere politischen Ansichten, die diametral entgegengesetzt waren –, dachte ich voller Sehnsucht an ihn. Er gefiel mir, aber ich versuchte, mir einzureden, dass er doch nicht gar so faszinierend sein konnte. Selbstschutz? Vielleicht. Aber ich war auch realistisch – ich war nicht bereit, mir das Herz brechen zu lassen.
Im Lauf der Tage dachte ich oft an das Funkeln in seinen Augen, bevor er etwas Lustiges sagte, oder wie sich seine Lippen verzogen, wenn er lächelte, und ich überlegte, wie es wohl wäre, mit ihm zu schlafen. »Gefahr, Will Robinson!«, wie es in Lost in Space heißt. Ein Wiedersehen wäre verrückt. Dumm. Es würde bestenfalls in Verlegenheit enden, schlimmstenfalls mit einer Kränkung. Ich sollte seinen Mantel in seinem Büro abgeben, eingepackt, damit niemand sah, dass ich ihn hatte. Ich würde ihm nicht mehr mailen. Ich würde auch nicht in einem fantastischen Restaurant in der Londoner Innenstadt mit ihm essen gehen.
Und ganz sicher würde ich von besagtem Essen nicht ohne Unterhosen nach Hause gehen, nachdem ich sie ausgezogen und ihm in einem irrwitzigen Anfall von Wagemut gegeben hatte.
Aber der beste Plan, ob Maus, ob Mann …
Diese Sache mit der Unterhose ist der helle Wahnsinn, ich weiß, und wenn es hilft: Auch mein Gehirn war vom Wahnsinn befallen. Ich hatte es wirklich nicht geplant. Ich trug sogar absichtlich einen bequemen, alles andere als scharfen Schlüpfer. Ich war entschlossen, dass nichts passieren durfte – trotz meiner gelegentlichen Tagträume von gemeinsamen gemütlichen Tagen zu Hause, wenn wir Zeitung lesen und in einem Zimmer wie aus dem IKEA-Katalog knöcheltief in auf dem Boden verstreuten Wochenendbeilagen versinken würden. Ich wollte ihm seinen Mantel zurückgeben, wir würden einen perfekten, schönen Abend verbringen, dann würde ich nach Hause gehen, und er würde sich nie wieder melden; seinen Mantel wollte ich wirklich kein weiteres Mal als Pfand behalten. Die meiste Zeit schien die Sache auch so ausgehen zu wollen.
Wegen eines Notfalls in der Redaktion – ein Artikel, mit dem ich nicht in die Gänge kam – und irgendeinem Unfall,
der den Verkehr aufhielt, kam ich zu spät. Er saß an der Bar. Er stand auf, um mich zu begrüßen, und als ich ihn wiedersah, schlug mein Herz schneller. Seine Augen glitzerten gut gelaunt, und ich fühlte mich sofort wieder mit ihm wohl, trotz meiner Verlegenheit wegen meines angetrunkenen Kusses und meiner überstürzten Flucht. Aber in Anbetracht der späteren Ereignisse ist das ja auch egal.
Er hatte Verständnis für meine Verspätung und ging über meine gestotterten Entschuldigungen hinweg, als wir zum Tisch geführt wurden. Wir ließen es uns schmecken und zogen die Mahlzeit so lange hinaus, dass die Bedienungen leise gefragt hätten, ob sie uns die Rechnung bringen sollten oder ob wir uns weiter an der Bar unterhalten wollten, wäre es nicht so ein trostloser Montag im Januar gewesen.
Wir redeten über Filme und über die Medien und stritten, ob der jüngste Anstieg der Negativschlagzeilen über das Innenministerium unnötig (er) oder
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