Das geheime Verlangen der Sophie M.
Unterhose? Willst du sie wirklich? Echt?«
Bei seinem Lächeln blieb mir kurz das Herz stehen. »Ja. Wirklich. Ich finde, das bist du mir schuldig.«
Ich drehte mich um und zog vor fremden Blicken geschützt meinen sorgfältig zusammengefalteten Slip aus der Tasche. Natürlich hatte ich ihn gefaltet – ihn zusammenzuknüllen wäre irgendwie schlampig gewesen. Ich gab ihm den Slip und konzentrierte mich völlig darauf, dass meine Hand nicht zitterte. Ich fürchtete schon, er könnte ihn auseinanderfalten und daran riechen oder was weiß ich damit tun. Lächelnd bedankte er sich und steckte ihn in die Tasche. Ich atmete bebend die Luft aus, die ich unbewusst angehalten hatte. Dabei küsste er mich ein letztes Mal auf meine geschwollenen Lippen und flüsterte mir ins Ohr: »Wir sehen uns bald wieder. Du wirst zu mir kommen und dir deinen Slip zurückholen, und dann werden wir diesen
Kuss fortsetzen …«, er starrte auf meinen Mund, »… und weitermachen.«
Ich hätte gern widersprochen und ihn für seine Eingebildetheit verspottet, aber als ich ins Taxi stieg, wissend, wie erregt ich war, wissend, dass ich sofort mit ihm gegangen wäre, wenn er es vorgeschlagen hätte, brachte ich die Lüge nicht über die Lippen. Ich war verwirrt, erregt, hin- und hergerissen zwischen meinem Kopf, meinem Herz und meiner Möse. Und dann piepste mein Handy.
Kannst du morgen Abend?
Nein. Ich musste über eine Buchvorstellung berichten. Aber ich hatte bei meinen Kollegen noch etwas gut und würde zweifellos in Zukunft Wochenenddienst schieben, damit ich Zeit hatte für alles, was er sich vorstellte. Die Lust gewinnt immer.
11. KAPITEL
Ich neige zum Grübeln. Das war bei mir schon als Kind so. Altklug, wie ich war, wälzte ich eine einfache Sache, die man mir gesagt hatte, in meinem Kopf herum, bis sie sich in etwas vollkommen anderes verwandelte. Meine Mutter erzählt oft, wie ich mit zehn Jahren nach einer Unterrichtsstunde über die Erderwärmung einen ganzen Nachmittag gebrütet hatte und zu dem Schluss gekommen war, dass wir dringend ein Boot bauen müssten, damit wir, der Hund, unsere Nachbarn und meine Klassenlehrerin Misses Johnson uns in Sicherheit bringen könnten, wenn die Flutwelle käme. Ich zeichnete sogar einen Aufriss des Projekts – so gut mir das mit zehn möglich war – und gab ihn meiner Mutter, damit sie in den Baumarkt gehen und alles Nötige besorgen konnte. Meine wunderbare Mutter, an solcherart surreale Diskussionen gewöhnt, zeigte mir ein Bild einer Kanalfähre und sagte, mein Vater hätte schon ein Boot gebaut, es läge für alle Fälle startklar im Hafen.
Leider haben die Höhenflüge meiner Fantasie mit den Jahren nicht nachgelassen, wenn überhaupt, sind sie nur noch schlimmer geworden – oder besser, da ich versuche, jede Sache aus allen Perspektiven zu betrachten und in gewisser Weise »über«zubeurteilen. Doch um drei Uhr nachts, wenn alle Welt schläft, wenn jedes Knarren im Haus so klingt, als würde etwas einstürzen, und wenn etwas ganz Einfaches auf einmal ganz kompliziert wird, ist Grübeln schlecht.
Ich malte mir verschiedene Szenarien aus, wieder und wieder durchdachte ich sie. Es war wie in einem erotischen Handbuch, alles war ausformuliert und endete mit unterschiedlichen Stufen der Befriedigung. In meiner Lieblingsepisode war James im Geheimen ein Dom, es war ihm aber peinlich, sich zu outen, also gab er mir subtile Hinweise darauf, dass er auf das Gleiche stand wie ich. Das fing damit an, dass er meine Hand packte, und ging so weit, dass er meine Unterhose einforderte. Das musste doch ein Zeichen sein, oder? Aber ob er das nun so gemeint hatte oder nicht – wir waren damit in das Rollenspiel von Dominanz und Unterwerfung geraten. Es sei denn, ich deutete die Zeichen falsch, ich hätte mich in meine Fantasie verstiegen und fälschlich gedacht, James’ Fantasien entsprächen meinen, während er nun zu Hause saß und überlegte, was er nur mit einer Hüftunterhose aus dem Kaufhaus anfangen sollte und wie er diese eindeutig durchgeknallte Frau wieder loswerden konnte, die sie ihm in die Hand gedrückt hatte. Was wollte er überhaupt mit der Hose? Würde er sie mir zurückgeben? Würde er sie vorher waschen? O Gott, was war schlimmer? Als ich ein Szenario ausgearbeitet hatte, in dem er mir meinen Slip mit der Post ins Büro schickte und die Redaktionsassistentin das Päckchen öffnete, weil er vergessen hatte, es mit »persönlich und vertraulich« zu
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