Das Geheimnis der Äbtissin
Ihr für Eure Sicherheit gesorgt? Diese Geschichte …« Er brach verlegen ab.
»Macht Euch um mich keine Gedanken. Sorgt nur dafür, dass niemand davon erfährt. Wenn Ihr den Auftrag erfüllt habt, verlasst Ihr am besten Eschwege. Mit dem Geld, das ich Euch zahle, könnt Ihr Euch in Kassel eine neue Werkstatt kaufen. Die Stadt ist am Aufblühen, gewiss werden dort noch tüchtige Handwerker gebraucht.«
»Ich glaube, dass der …«, er suchte nach Worten, »… nun ja, der König sich ruhig verhalten wird, um keinen Staub aufzuwirbeln.«
»Trotzdem hat er großes Interesse daran, dass niemand von der Geschichte weiß. Also seid vorsichtig!«
Er nickte. »Ihr auch, ehrwürdige Mutter!«
»Ich werde darum beten, dass Heinrich nie wieder nach dem Herzsarg fragen wird.« Sie griff nach dem Beutel mit den Silbertalern, den sie vom König erhalten hatte. »Hier drin ist Euer Lohn. Denkt an meinen Rat.«
»Ihr spracht von einem zweiten Teil?«
»Ja.« Sie drückte ihm ein Pergament in die Hand. In der Nacht hatte sie Friedrichs Bericht abgeschrieben. »Vernichtet es, wenn Ihr fertig seid.«
Sorgfältig verstaute er Beutel und Schreiben in seiner Tasche und verabschiedete sich.
Judith setzte sich an den Kamin und starrte ins Feuer. Hatte sie das Richtige getan? Wäre es nicht besser gewesen, diese unglückselige Geschichte wäre mit dem Kaiser gestorben? Wurde sein Heiliges Reich von einem Kuckuckskind regiert? Und wenn schon? Heinrich war ein guter König. Doch warum hatte er von Anfang an Heinrich zu seinem Thronerben bestimmt? Vielleicht, weil er sich bei ihm sicher war, ihn selbst gezeugt zu haben? Immerhin hatte Beatrix nach Bischof Konrads Tod noch weitere Kinder geboren. Vielleicht war Friedrich tatsächlich der einzige Bastard gewesen, der alt genug geworden war, um regieren zu können. Brachte sie mit ihrem Gerechtigkeitssinn vielleicht einen lange geschmiedeten kaiserlichen Plan durcheinander? Hatte sie überhaupt das Recht, sich einzumischen? Sie legte den Kopf in die Hände und schloss die Augen.
»Herr, ich bitte Dich, gib mir ein Zeichen. Lass mich nicht allein mit dieser Entscheidung.« Lange wartete sie, doch es blieb still in der Zelle. Nichts geschah, das sich als Fingerzeig Gottes deuten ließ.
Am nächsten Tag meldete Guntram, dass die Ausschachtung am Säulenfundament in der Kirche beendet sei. Ob sie einen Baumeister angefordert habe, oder ob er mit der Verfestigung beginnen solle? Sie schüttelte den Kopf. »Noch nicht. Es gibt Wichtigeres zu tun.«
Das einsetzende Tauwetter sorgte für gefährlich glatte Wege. Das Schmelzwasser konnte tagsüber nicht versickern, weil der Frost noch im Boden steckte. Die Folge war, dass der Hof wie ein Dorfteich aussah und kleine Sturzbäche sich in die Kellergewölbe ergossen. Sie ließ die Knechte Gräben ziehen, in denen das Eiswasser ablaufen konnte. Die Mägde mussten die Eisflächen mit Asche bestreuen und die Keller ausschöpfen.
Zwei Tage später erinnerte Guntram sie besorgt daran, dass jene Säule noch immer frei stehe und sie sich ohnehin schon neige.
»Ein oder zwei Tage werden nicht schaden. Bitte kümmere dich zuerst um das Schmelzwasser, es droht den Brunnen zu verschmutzen.« Sie musste noch etwas Zeit gewinnen.
Kopfschüttelnd stapfte Guntram durch den Schneematsch hinüber zum Brunnenhaus. So unvernünftig kannte er die ehrwürdige Mutter gar nicht.
Am nächsten Tag trippelte der Esel des Goldschmieds endlich auf den Hof. Seine Hufe waren mit Lappen umwickelt, damit er auf den vereisten Wegen nicht rutschte. An seiner Seite schaukelte eine in Sackleinen gehüllte Last.
»Die Zeit erschien mir sehr lang«, sagte sie, nachdem die Kiste hinaufgebracht war und die Tür hinter ihnen zufiel.
»Ich habe Tag und Nacht gearbeitet, nicht nur, weil Ihr es mir so geboten hattet.«
Sie hob die Augenbrauen. »Warum noch?«
»Ich wollte, dass dieses Ding so schnell wie nur möglich meine Werkstatt verlässt und irgendwo verschwindet. Ich hoffe, Ihr habt ein gutes Versteck dafür gefunden.«
Sie lachte lautlos und bitter. »O ja, das hoffe ich auch. Habt Ihr das Pergament vernichtet?«
»Nur noch ein Häufchen Asche ist davon übrig. Vergebt mir meine Neugier – sagt Ihr mir, wo Ihr sie hinbringt?«
Sie hob das Sacktuch an. »Zunächst will ich sie mir ansehen.« Beinahe zärtlich strich sie über die kunstvoll eingeritzten Zeichen und Buchstaben, die sich eng und mit kleinen bildhaften Symbolen versetzt über das Metall zogen. »Ein Heer
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