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Das Geheimnis der Äbtissin

Das Geheimnis der Äbtissin

Titel: Das Geheimnis der Äbtissin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Marie Jakob
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Boden langsam nach oben kroch. Judith beobachtete mit leichtem Grausen eine schwarze Spinne, die in einem Loch an der grob verputzten Wand geduldig auf Beute wartete. Wie lange saß sie schon in diesem schäbigen und baufälligen Kirchlein? Nur selten verirrte sich eine Fliege oder ein größeres Insekt hierher. Wäre das Tier ein Schmetterling gewesen oder ein Käfer, hätte sie es nach der Messe mit hinaus in die Sonne genommen, deren bleiche Strahlen erst gegen Abend den Weg durch das kleine Fenster neben dem Altar fanden. Doch eine Spinne anzufassen …
    Sie schüttelte sich.
    Von draußen drang das Geräusch schneller Hufschläge herein. Die Köpfe der Kinder fuhren herum. Beringar, mit vier Jahren der Kleinste, reckte Katharina die Arme entgegen, in der Hoffnung, sie würde ihn hochnehmen. Seufzend tat sie ihm den Gefallen. Das unwillige Wiehern eines Pferdes, das abrupt zum Stehen gebracht wird, schnitt dem Pfarrer das Wort ab. Jemand rief Kommandos über den Burghof. Gemurmel und scharrende Füße störten die Andacht. Der alte Eckardt, der auf der anderen Seite des Gangs gestanden hatte, nickte dem Geistlichen zu und eilte hinaus. Der vierzehnjährige Ludwig machte Anstalten, ihm zu folgen, doch Judith packte ihn am Ärmel und hielt ihn fest. Es gab ein kurzes Gerangel, das Katharina mit einem energischen »Schluss jetzt!« beendete. Sie beugte sich zu dem Jungen hinab und flüsterte ihm ein paar Worte ins Ohr. Er schmollte zwar, blieb aber gehorsam stehen.
    Mit hastigen Worten begann Pater Martinus, das Evangelium zu verlesen.
    »Hast du gemerkt, er hat eine Stelle weggelassen«, wisperte Isabella hinter Katharinas Rücken. Judith zuckte mit den Schultern. Seit sie im letzten Herbst zwölf geworden war, erhielt sie vom Pater Lateinunterricht. Doch ihre Kenntnisse waren nicht so gut wie die der etwas älteren Freundin. Außerdem hatte sie sich auf die Geräusche vom Hof konzentriert.
    Endlich knarrte die Tür, und Eckardt kam zurück.
    Er wartete das Ende des Evangeliums ab, dann platzte er heraus: »Gute Nachricht, Leute! Unser Herr ist auf dem Weg nach Hause. Er bringt den Kaiser mit. Spätestens übermorgen können wir mit ihnen rechnen!«
    Gemurmel drang durch den kleinen Kirchenraum, freudig und aufgeregt.
    »Vater kommt!«, jauchzte Beringar und hüpfte von einem Bein auf das andere.
    Der Pfarrer schmunzelte. »Lasset uns Gott danken und beten für eine gesunde Heimkehr unseres Kaisers und des Grafen.«
    Die nächsten Tage vergingen für das Gesinde wie im Flug. Jetzt, da man wusste, dass der Kaiser zu Gast sein würde, bekamen die Vorbereitungen eine noch größere Bedeutung. Wesentlich mehr hungrige Mäuler würden um die Tische sitzen. In aller Eile wurden Schweine, Zicklein und Gänse geschlachtet. Vom Morgengrauen bis zur Dämmerung schleppten die Mägde Holzwannen voller Teig aus der Küche zum Backofen. Heiße Brotlaibe sowie duftende Haferkuchen fanden den Weg zurück in die Speisekammern, die Knechte fegten den Hof und streuten den Boden im Saal mit frischem Stroh und Kräutern aus.
    Für die Kinder jedoch wollte die Zeit nicht vergehen. Beringar zerrte ungeduldig an Katharinas Umhang und fragte alle nasenlang: »Wann kommt Vater?«
    Die Amme, die ein Loch im Linnen eines Kinderhemds stopfte, antwortete zerstreut: »Morgen, mein kleines Fohlen, morgen ist er bestimmt da.«
    »Er hat ein sehr schnelles Pferd, das weißt du doch«, ergänzte Judith. Sie mühte sich verbissen mit einer Stickerei ab. Auf einem weißen Tüchlein knäulte sich ein chaotisches Gewirr aus roten Fäden, das eigentlich einen schreitenden Löwen darstellen sollte, das Wappentier der Lare’schen Grafen. Sie wollte es ihrem Vater als Willkommensgeschenk überreichen. Ihre Blicke wanderten hilfesuchend zu Katharina hinüber.
    Die seufzte gutmütig und nahm ihr das Tuch aus der Hand. »Nicht so fest zurren, Judith, die Fäden müssen locker auf dem Stoff liegen.« Geschwind zog sie das Garn wieder heraus und machte damit die Arbeit eines Nachmittags zunichte.
    Der kleine Beringar kroch auf allen vieren und zog sein Holzpferd über die Dielen. »Achtung, aufgepasst! Graf Ludwig reitet über die Zugbrücke! Macht Platz für den Grafen!« Katharinas Garnrollen säumten als Gesinde den Weg. Das Pferdchen galoppierte klappernd zwischen den Beinen von Isabellas Spinnrad hindurch und brachte es zum Umstürzen. Die junge Windhündin, die bis eben in der Ecke neben dem Kamin geschlafen hatte, sprang begeistert kläffend hinter der

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