Das Geheimnis der Alchimistin - Historischer Kriminalroman
aufbrechen.«
»Willst du vorher nicht ein wenig schlafen? Es ist noch früh, du kannst dich bis zur dritten Stunde ausruhen.«
»Lieber nicht. Wenn ich Zeit finde, werde ich am Nachmittag schlafen.« Er schaute zu Hugues de Narbonne, der vermutlich schlief; möglicherweise war er aber auch nur ohnmächtig. Oder stellte sich schlafend. »Was machen wir mit ihm?«
All die Bewunderung und der Respekt, die Gerardo in den letzten Tagen für seinen ehemaligen Kommandanten gezeigt hatte, waren aus seiner Stimme gewichen.
»Ich werde ihm einen schmerzstillenden Trank geben, damit er schläft«, antwortete Mondino. »Später kannst du nachsehen, wie es ihm geht, doch bitte warte bis zu meiner Rückkehr, ehe du ihn befragst. Einverstanden?«
»Einverstanden.«
Einem Mann mit einer Schädelverletzung ein Schlafmittel zu verabreichen, war sicher nicht die beste Therapie. Aber es war der einzige Weg sicherzugehen, dass er den ganzen Morgen über ruhiggestellt war und dass Gerardo, sollte er seiner Anordnung zuwiderhandeln wollen, nicht allein mit dem Verhör beginnen konnte. Mondino fürchtete, dass der junge Mann nicht die notwendige Unvoreingenommenheit besaß, um seinen Kommandanten zu zwingen, die ganze Wahrheit zu sagen oder herauszufinden, ob er log.
Sie gingen in die Küche. Gerardo zündete das Feuer aus der Glut des Vortags an, und Mondino mischte in einem tönernen Gefäß einen Trank aus Lavendel, Passionsblume und Baldrian. Als der Sud fertig war, flößten sie ihn Hugues ein, der in der Zwischenzeit die Augen geöffnet hatte, aber immer noch abwesend wirkte. Dann verabredeten sie, dass sie einander an der
gleichen Stelle am Nachmittag irgendwann zwischen Sext und Non treffen würden, und verließen den Mann, der wie ein sitzender Gekreuzigter mit weit ausgebreiteten Armen und dem Kopf auf der Brust aussah.
Mondino lief sogleich Richtung Piazza Maggiore. Gerardo blieb zurück und schloss sorgfältig ab. Bevor er sich auf den Weg ins Trebbo dei Banchi machte, versteckte er noch den Schlüssel in einer Spalte im Holz unter dem Fenster.
Guido Arlotti beobachtete, wie der junge Mann den Schlüssel versteckte, und zögerte einen Moment. Der Inquisitor hatte ihm aufgetragen, Mondino wie ein zweiter Schatten zu folgen, aber er sollte auch herausfinden, wo sich der als Brandstifter gesuchte Student verbarg. Nun wusste er, dass dieser Student und der junge Mann, den Mondino immer mit Gerardo angesprochen hatte, ein und dieselbe Person waren. Wem der beiden sollte er also folgen?
Außerdem hätte er sich gern ein wenig in dem Haus umgesehen. Nach dem, was er auf seinem Lauschposten am Fenster mitbekommen hatte, musste dort etwas Ungewöhnliches vorgefallen sein.
Guido bereute, dass er aus reinem Geiz, weil er seinen Lohn mit niemandem teilen wollte, nicht ein paar Männer mitgenommen hatte. Wären seine Kumpane jetzt bei ihm gewesen, hätten sie sich die Aufgaben teilen und er von Uberto da Rimini das Doppelte verlangen können und nicht nur den Generalablass für all die Sünden, die er seit einem Jahr angehäuft hatte.
Guido war Mönch gewesen, er glaubte an die Hölle und die ewige Verdammnis. Aber er hatte seit langem akzeptiert, dass er zu schwach war, um seinen Leidenschaften zu widerstehen. Wenn er also Aufträge für mächtige Männer der Kirche erledigte, nutzte er die Gelegenheit und forderte Vergebung und
den Erlass aller Sünden gegen milde Bußen. Einmal hatte er nur eine Nacht auf einem Lager aus Brennnesseln verbringen müssen, damit ihm ein Mord vergeben wurde, den er auf Anordnung desselben Prälaten begangen hatte, der ihm dann die Absolution erteilte. Guido war überzeugt, dass er ein Leben ganz nach seinem Belieben führen konnte, ohne dafür büßen zu müssen. Nur eine Vorstellung jagte ihm Angst ein, und zwar im Zustand der Todsünde zu sterben, ehe er Vergebung erlangen und rechtzeitig bereuen konnte. Doch im Augenblick erschien ihm der Tod sehr weit entfernt.
Schließlich entschied er sich, Mondino zu folgen, so wie er es ursprünglich vorgehabt hatte. Die beiden würden einander bestimmt am Nachmittag erneut treffen, und bis dahin hatte er ein paar zuverlässige Männer benachrichtigt, die er dann auf den Templer und Mondino ansetzen könnte. Das würde ihm Zeit geben, das Haus zu betreten. Sobald er dann alle Informationen gesammelt hatte, würde er sich unverzüglich zum Inquisitor begeben.
Während der junge Mann Richtung Santo Stefano lief, kam Guido hinter der Säule des
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