Das Geheimnis der Alchimistin - Historischer Kriminalroman
Mondino bemerkte seinen glasigen Blick, trat ans Bett heran und schwenkte eine Hand vor seinen Augen. Der Tempelritter zuckte mit den Lidern, sonst bewegte sich jedoch kein Muskel. Mondino sprach ihn an, berührte und schüttelte ihn, doch er konnte ihn nicht aus diesem Dämmerzustand reißen. Als er versuchte, ihn mit der Spitze eines Chirurgenmessers in den Arm zu stechen, zog Hugues den Arm ruckartig fort, doch selbst jetzt blieb sein Gesicht unverändert. Er reagierte auf äußere Reize, war aber nicht bei Bewusstsein.
»Er hat sich den Kopf angeschlagen, hast du gesagt?«, fragte Mondino, ohne sich zu Gerardo umzudrehen.
»Ja. Am Anfang ist sehr viel Blut ausgetreten. Zunächst hat er die Besinnung verloren, doch dann ist er wieder zu sich gekommen. Er konnte bis hierher laufen, allerdings redete er dabei wirres Zeug. Da hat er die Dinge gesagt, die ich Euch berichtet habe.«
»Und was ist dann geschehen?«, fragte Mondino und bedeutete ihm, er solle helfen, Hugues in eine sitzende Position aufzurichten, damit er ihn mit dem Rücken an das Betthaupt lehnen konnte.
»Das habe ich Euch bereits gesagt. Plötzlich ist er ohnmächtig geworden und hat sich seitdem nicht wieder erholt. Ich habe es mit Ohrfeigen versucht und ihm Wasser ins Gesicht gespritzt … Es war nichts zu machen. Er atmete, aber sonst wirkte er wie tot.«
»Jetzt ist er wach, aber nicht bei klarem Bewusstsein«, sagte Mondino fast zu sich selbst. »Schauen wir uns also die Wunde an.«
Der Arzt schob die blutverkrusteten Haare beiseite und entdeckte
dort eine Schwellung und eine etwa vier Finger lange, klaffende Wunde. Er schor ihm die Haare rund um die geschwollene Stelle mit einem Rasiermesser, tastete die Verletzung mit den Fingern ab, wie es Rogerius in seinem Buch über die Chirurgie empfahl, und fand seine Vermutung bestätigt, dass der Knochen gebrochen war. Gewiss war auf diese Weise Eiter ins Innere gelangt, in die Höhle, die das Gehirn enthielt.
»Der Schädel muss aufgebohrt werden«, sagte er. »Hilf mir, ihn festzubinden.«
Gerardo suchte nach Seilen, und sie fesselten ihn an Händen und Füßen an die Pfosten, die den Baldachin trugen, ließen ihn allerdings in der aufrechten Position. Leider hatte Mondino keine spongia somnifera mitgenommen, den Schwamm, der mit einem schmerzstillenden Mittel getränkt wurde, wodurch der Patient betäubt wurde und den Schmerz besser ertragen konnte. Daher mussten sie den Franzosen knebeln, um ihn am Schreien zu hindern. Dieser ließ alles widerstandslos über sich ergehen, wahrscheinlich bemerkte er nichts von dem, was um ihn herum geschah. Mondino zog einen kleinen Bohrer aus der Tasche und bat Gerardo, den Kopf des Patienten zu halten.
Obwohl Hugues beinahe bewusstlos war, bäumte er sich beim Anblick des Bohrers auf, zerrte an den Seilen und versuchte, trotz des Knebels zu schreien.
Mondino vermied es, ihm in die Augen zu sehen, atmete einmal tief durch und wandte sich mit einem kurzen Gebet an Gott, in dem er ihn bat, ihm die Hand zu lenken. Er hatte schon ähnliche Operationen durchgeführt und wusste um die hohe Wahrscheinlichkeit, dass sie tödlich oder mit einer unheilbaren Lähmung des Patienten endeten. Nur die kleinste Unachtsamkeit, und es konnte geschehen, dass die Spitze des Bohrers, nachdem sie die letzte dünne Knochenschicht durchstoßen hatte, plötzlich weit in das Innere des Schädels drang. Oder dass man die Ränder des Bruchs zu weit auseinanderzog,
und sie danach nicht mehr zusammenwuchsen. In diesem Fall lebte der Patient zwar weiter, aber nur im Bett und unter vielen tausend Vorsichtsmaßnahmen, um zu verhindern, dass die giftigen Dämpfe in der Luft in sein Gehirn eindrangen. Früher oder später bekam er sehr hohes Fieber und starb unter starken Schmerzen.
Hugues de Narbonne mochte ein Mörder sein, aber Mondino würde ihn ebenso sorgfältig operieren, als müsste er Heinrich VII. höchstpersönlich den Schädel öffnen. Und das nicht nur, weil Hugues am Leben bleiben musste, um ihnen alle die Geheimnisse zu enthüllen, die er bislang verschwiegen hatte, sondern vor allem aus Respekt sich selbst und seiner Kunst gegenüber. Der Eid des Hippokrates schien zwar in dieser entarteten Zeit zu einer reinen Formalität verkommen zu sein, doch für ihn gründete sich die gesamte Medizin darauf.
Schließlich wandte er sich wieder dem Franzosen zu. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass er ihn trotz seines Zustands hören oder verstehen konnte, sagte Mondino so ruhig und
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