Das Geheimnis der Alchimistin - Historischer Kriminalroman
Schlüssel versteckt ist.«
»Sorgt Euch nicht, ich werde dort auf ihn warten.«
Gerardo erinnerte sich an die Blicke, die Hugues in Remigios Haus auf die junge Frau geworfen hatte, und plötzlich erschien ihm die Vorstellung, sie in die Höhle des Löwen zu schicken, keine so gute Idee, selbst wenn der Franzose jetzt schwach und verletzt war.
»Aber denkt daran«, ermahnte er sie mit ernstem Blick, »wartet, bis Mondino eintrifft, ehe Ihr ihn losbindet. Wir haben Grund zu der Annahme, dass Hugues de Narbonne nicht der ist, der zu sein er vorgibt.«
»Nur keine Angst, ich werde aufpassen«, versicherte Fiamma ihm. »Ich werde mich von den beiden Dienern meines Vaters begleiten lassen. In diesen Tagen bleibt die Bank geschlossen.«
Gerardo erklärte ihr daraufhin, wo das Haus lag und wo er den Schlüssel versteckt hatte. »Ich danke Euch von Herzen für Eure Freundlichkeit, Madonna«, sagte er und bemühte sich zu lächeln. »Gott weiß, wie ich diese im Moment brauchen kann.«
Fiamma nickte, doch sie blieb ernst und schien an etwas anderes zu denken. Sie schwieg einen Moment, als müsste sie einen inneren Kampf mit sich selbst ausfechten. »Nun, ich bin nicht nur deshalb gekommen«, sagte sie dann. »Ich muss mit Euch reden.«
»Worüber?«
»Über mich.«
Überrascht brachte Gerardo nur heraus: »Ich höre.«
Fiamma schwieg lange, dann holte sie tief Luft. »Das hier hat mir kein Arzt zugefügt, der einen Katarakt entfernen wollte«, sagte sie, nahm das Taschentuch vom Mund und zeigte ihm ihre linke Gesichtshälfte. Im flackernden Schein der Öllampe schien die Narbe wie eine weißliche Schlange vom Auge bis zum Kinn zu zucken. Gerardo war bestürzt. Doch was für eine Rolle spielte die Narbe in diesem Moment? Die junge Frau schien zu aufgewühlt, um sich in zusammenhängenden Sätzen auszudrücken.
»Das habe ich allen erzählt, auch Remigio«, fuhr Fiamma fort. So zusammengekauert, die Hände auf den Knien gefaltet, wirkte sie fast wie ein kleines Mädchen. »Ich musste es vergessen.«
Die junge Frau schüttelte den Kopf, als könnte sie nicht fortfahren, dann drückte sie sich wieder das Taschentuch vor den Mund. Sie schien in Tränen ausbrechen zu wollen, doch sie konnte nicht weinen. Ihre Brust hob und senkte sich unter dem dünnen Gewand.
»Madonna, ich bitte Euch, beruhigt Euch!«, sagte Gerardo. Seinem Gefühl folgend beugte er sich zu ihr hinüber und nahm sie in den Arm.
Fiamma stieß einen Schrei aus, als hätte jemand sie gebissen. Sie wich zurück und steckte eine Hand in den Gürtel, den sie um die Taille trug, während Gerardo sie erschrocken beobachtete und schon glaubte, sie wolle einen Dolch hervorziehen. Stattdessen holte die Frau einen bestickten kleinen Beutel hervor, der drei Dinge enthielt: ein Blatt Hadernpapier, einen Bogen Pergament und eine Art Heft, das kleinste, das Gerardo je gesehen hatte. Sie wollte es ihm erst in die Hand drücken, doch dann entschied sie sich anders und legte alles auf den schmutzstarrenden Boden zwischen sie beide.
»Das erste Blatt ist ein Brief für Euch«, sagte sie. »Das Heft ist mein Tagebuch aus längst vergangener Zeit, und das Pergament
ist nutzlos, aber ich weiß, dass Ihr danach gesucht habt. Lest bitte den Brief und das Tagebuch. Ich möchte, dass Ihr mich versteht und mir vielleicht sogar verzeiht.«
Dann rief sie die Wachen, um sich die Tür öffnen zu lassen, nahm den Korb mit dem Geschirr und verließ sichtlich aufgewühlt und ohne ein Wort des Abschieds die Zelle. Sie wandte sich nicht einmal mehr um.
Gerardo war wieder allein. All der Trost, dass er endlich etwas gegessen und getrunken hatte, war dahin, und er fühlte ein schweres Gewicht auf seinem Magen lasten. Er nahm den Brief, der sehr kurz war. Als er ihn gerade zu Ende gelesen hatte, hörte er wieder das Geräusch von Schritten auf dem Gang. Hastig befeuchtete er die Finger mit Speichel, löschte die Lampe und versteckte alles an dem einzig möglichen Platz: unter dem dreckigen Stroh.
»Komm von selbst heraus, ohne dass wir dich holen müssen«, sagte einer der Wachen, als er den Riegel zurückschob. »Der Inquisitor erwartet dich.«
Gerardo kroch auf allen vieren aus der Zelle und richtete sich langsam auf. Die beiden ließen ihn dieses Mal zwischen sich laufen, ohne ihn mit Gewalt fortzuschleifen.
Hugues de Narbonne starrte mit weit geöffneten Augen in die Dunkelheit und machte sich allmählich Sorgen. Als er wieder erwacht war, hatte er sich an alles erinnert,
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