Das Geheimnis der Alchimistin - Historischer Kriminalroman
sich schon vom Prior verabschieden, als auf dem Kirchplatz ein junger Amtsdiener erschien, der sich, als er sie entdeckte, gleich in ihre Richtung wandte. Uberto nahm an, dass er Neuigkeiten vom Podestà für ihn brachte. Was immer er ihm zu sagen hatte, der Prior durfte nichts davon erfahren. Uberto wollte dem Amtsdiener entgegengehen, doch der Prior hielt ihn am Arm zurück und lächelte milde. »Lasst ihn zu uns kommen, Pater«, sagte er. »Ich kenne Eure Bescheidenheit, doch die Hierarchie muss eingehalten werden.«
Ehe Uberto etwas erwidern konnte, hatte der Amtsdiener sie schon erreicht. Er verneigte sich, übergab dem Inquisitor ein zusammengerolltes Pergament mit dem Siegel des Podestà und zog sich unverzüglich respektvoll zurück, damit dieser es in Ruhe lesen konnte.
»Ich habe den Befehl, gleich eine Antwort mitzunehmen«, sagte er. »Wenn Ihr Euch zum Schreiben ins Kloster begeben wollt, kann ich hier darauf warten.«
Uberto nickte und unterbrach den Mann mit einer Handbewegung, dankbar für den Vorwand, unter dem er sich entfernen konnte. »Es geht schneller, wenn Ihr gleich mit mir kommt«, sagte er. Dann wandte er sich an den Prior. »Ich bitte Euch, mich zu entschuldigen«, sagte der Inquisitor schnell und wandte ihm den Rücken zu, ohne ihm die Möglichkeit für eine Antwort zu geben.
Während sie zum Tor des Klosters liefen, erbrach er das Siegel und begann, den Brief zu lesen. Der Podestà von Bologna, Enrico Bernadazzi, stimmte seiner Bitte zu, Francesco Salimbene zu verhören. Da der verhaftete Student jedoch eines Verbrechens gegen die Stadt beschuldigt wurde, konnte er
der Bitte um Verlegung in die Kerker des Dominikanerklosters nicht entsprechen. Der Inquisitor müsste sich schon ins Stadtgefängnis begeben, wenn er ihn verhören wolle, und das ausschließlich in Anwesenheit des Podestà, des Capitano del Popolo und eines Notars.
Auf den schmalen Lippen Ubertos erschien ein Lächeln. Sicher glaubte der Podestà, ihn mit diesem Brief zu verärgern - und unter normalen Umständen wäre das auch der Fall gewesen. Doch im Augenblick schien ihm die Möglichkeit, den Gefangenen ohne den Erzbischof zu verhören, wie eine Antwort des Himmels auf seine Gebete. Und vielleicht war dem ja auch so.
Nun hing jedoch alles davon ab, dass die Gefangensetzung Salimbenes geheim blieb und schnell etwas geschah. Er musste unverzüglich handeln.
»Ich werde dem Podestà meine Antwort persönlich geben«, sagte er dem Boten. »Ich begleite Euch in den Palazzo.«
Er bedeutete dem Mann, er solle vorangehen, und folgte ihm. Aus dem Augenwinkel bemerkte er den neugierigen Blick des Priors, der aufzuhorchen schien. Konnte es sein, dass er der mysteriöse Spion Rinaldos war, der ihn über jede seiner Bewegungen auf dem Laufenden hielt? Er konnte es sich nicht vorstellen, doch inzwischen war dies unwichtig geworden. Wenn er den Gefangenen zu einem Geständnis brachte, würde ihm Rinaldo da Concorezzo keine Knüppel mehr zwischen die Beine werfen können.
Unterwegs riss der Inquisitor das Pergament in kleine Fetzen, und als sie über eine der zahlreichen Brücken den Savena überquerten, warf er sie ins Wasser. Er sah, wie die Schnipsel vom Strom fortgetragen wurden, kleine weiße Flecken voller schwarzer Tintenschnörkel.
Wie eine winzige Flotte von Dominikanern, die zur Verteidigung des Glaubens herbeieilte.
Als Gerardo hörte, wie sich die Tür öffnete, dachte er, die Wachen wären gekommen, um ihn zu holen, und stellte sich innerlich schon auf die Folter ein. Er wusste nicht, ob und wie lange er ihr widerstehen würde, und wünschte sich nur, dass er nicht beim ersten Schmerz zusammenbrechen würde wie ein kleiner Junge.
Er hatte die Augen geschlossen, damit ihn das plötzliche Licht in seiner Zelle nicht blendete. Da hörte er eine Männerstimme sagen: »Ihr könnt eintreten, aber bleibt nicht zu lange.« Als Nächstes nahm Gerardo einen für diesen Ort ungewöhnlichen Geruch wahr: den Duft von sauberer Wäsche und duftenden Haaren. Den Duft einer Frau.
Überrascht riss er die Augen auf und musste sie geblendet sofort wieder schließen. Was er in dem kurzen Moment gesehen hatte, ergab keinen Sinn.
»Schmerzt Euch das Licht in den Augen?«, fragte Fiamma. »Wenn Ihr wollt, lösche ich die Lampe.«
Sie musste sie mit etwas abgedeckt haben, denn jetzt war der Schein schwächer. Gerardo öffnete erneut seine Augen und sah, wie sie mit einem schlichten weißen Gewand und einem Schleier auf dem Kopf über
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