Das Geheimnis der Alchimistin - Historischer Kriminalroman
und drückte ihre Kerze dort neben der anderen fest. Schließlich schob sie die Truhe neben das Bett.
»So kann ich besser sehen«, erklärte sie. »Ich möchte nicht danebenschneiden.«
Als er in dem helleren Licht die Kotflecken auf der Matratze sah, schämte sich Hugues auf einmal. Das war sicher nicht die beste Situation für die Begegnung mit einer jungen Frau. Sobald sie ihn befreit hatte, würde er ein Fenster öffnen, um den Gestank hinauszulassen, und dann würde er sich waschen gehen.
Fiamma nahm ein Messer aus der Stofftasche und näherte sich ihm. Hugues war etwas verwirrt, als er sah, dass sie es auf seine Brust gerichtet hielt und sich nicht den Seilen zuwandte, die seine Handgelenke fesselten, doch als sie begann, sein Gewand zu zerschneiden, entspannte er sich. Natürlich, sie wollte nicht diese blut- und kotverschmierten Kleider berühren. Sie schnitt sie lieber auf und ließ sie auf das Bett fallen. So würde sie ihn zwar nackt sehen, aber wenn es ihr nichts ausmachte, hatte Hugues nichts dagegen. Trotz seines Alters war sein Körper immer noch fest und muskulös, und nichts, dessen er sich schämen musste. Zu schade, dass er das Bett verschmutzt und immer noch diese schrecklichen Kopfschmerzen hatte. Sonst hätte er sie sofort an sich gezogen, sobald sie ihn losgebunden hatte. Aber das konnte er ja immer noch tun, sobald er sich gewaschen und gestärkt hatte, dachte er mit dem Anflug eines Lächelns.
Fiamma legte seinen kräftigen Oberkörper frei, den ein
dichter blonder Pelz bedeckte, in dem nur ein paar wenige weiße Haare zu finden waren. Dann fuhr sie mit dem Messer weiter nach unten und schnitt das ganze Gewand auseinander. Nur die Beinlinge ließ sie unberührt. Sie war wirklich eine Schönheit mit diesen seidigen Haaren, dem intensiven Blick und den vollen Brüsten, die sich unter der weißen Tunika abzeichneten. Selbst die Narbe, die ihr Gesicht verunstaltete, konnte ihre Schönheit nicht mindern.
Die junge Frau entfernte sich von ihm und leerte den Inhalt der Stofftasche auf der Truhe aus. Sie holte verschiedene Metallgegenstände hervor, die auf der Holzplatte klirrten. Warum schnitt sie nicht endlich die Fesseln an seinen Handgelenken durch? Hugues versuchte zu sprechen, aber der Knebel verwandelte seine Worte in unverständliches Jammern.
Fiamma wandte sich ihm zu und starrte ihm lange wortlos in die Augen. Dann sagte sie: »Die anderen musste ich erst niederschlagen und dann mit einem Lähmungstrank bewegungsunfähig machen. Ihr seid freundlicherweise bereits geknebelt und gefesselt.«
Da endlich begriff Hugues. Mit dieser Klarheit des Geistes, die oft dem Tode vorausgeht, kam ihm auf einmal wieder eine tief verschüttete Erinnerung an ein entstelltes Mädchen in den Sinn. Er hatte sie bislang nicht wiedererkannt, weil er sie für tot gehalten hatte und weil die Frau, die vor ihm stand, nicht mehr das zierliche kleine Mädchen von damals war. Nun wusste er: Sie hatte Angelo da Piczano und Wilhelm von Trier getötet. Und jetzt war er an der Reihe.
Während Fiamma wieder mit dem Messer näher kam und seine Haut aufschnitt, schrie er aus Leibeskräften, bis er keine Luft mehr in den Lungen hatte. Doch hinter dem Knebel kam nur ein erbärmliches Winseln heraus.
Nachdem Fiamma ihr Werk vollendet hatte, ging sie in die Küche, zog die blutverschmierten Kleider aus und wusch sich sorgfältig in der Schüssel, die sie schon mit Wasser gefüllt hatte, als sie gekommen war. Obwohl ihre Rache nun beinahe vollzogen war, empfand sie keine Befriedigung. Sie war müde und viel trauriger, als sie es sich in all den Jahren vorgestellt hatte, in denen sie jede Einzelheit geplant hatte.
Sie trocknete sich mit einem Hanflumpen ab, der an einem Haken neben dem Ofen hing, holte saubere Kleider aus ihrer Tasche und zog sie über: ein dunkelbraunes Gewand, eine Bluse und eine weiße Haube. Unauffällige Kleider, mit denen sie sich unter die Menge mischen konnte, sobald die Leute von dem Mord erfahren hatten. Ehe sie ging, kehrte sie noch einmal zur Tür des Schlafzimmers zurück und bewunderte ihr Werk. Hugues de Narbonne war der Anführer gewesen, ohne den die anderen vielleicht gar nicht so weit gegangen wären. Er hatte es verdient, am meisten zu leiden. Ehe sie ihn getötet hatte, hatte sie ihm erzählt, wer sie war, und hatte sich an der Panik in seinen Augen geweidet, während sie seine Haut mit dem Messer einritzte und die Konturen der Schnitte zog, die sie dann mit der Säge ausführen
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