Das Geheimnis der Alchimistin - Historischer Kriminalroman
dem schmutzigen Fußboden auf ihren Fersen hockte. Sie hatte die Lampe hinter sich neben die Tür gestellt. Gerardo schämte sich entsetzlich für sein Aussehen und den beißenden Gestank, der die Zelle erfüllte. Er bemerkte ihn kaum noch, aber Fiamma schon, denn sie presste sich ein Taschentuch aus Leinen vor den Mund.
»Das Licht ist jetzt gut so, danke, Madonna«, brachte er stammelnd zwischen den geschwollenen Lippen hervor. »Warum seid Ihr gekommen?«
»Freut Ihr Euch denn nicht, mich zu sehen?«, fragte sie ihn.
Gerardo schüttelte den Kopf. »So ist es nicht. Selbstverständlich freue ich mich. Aber jetzt weiß man, dass Ihr mich kennt, und man könnte Euch befragen, um von Euch etwas
über mich zu erfahren. Ich würde es nicht ertragen, wenn man Euch meinetwegen ein Leid zufügen würde.«
Instinktiv streckte Fiamma eine Hand aus, um ihm über das Gesicht zu streicheln, dann zog sie sie sofort wieder zurück. In dieser winzigen Zelle waren sie zu einer unschicklichen Nähe gezwungen, und trotz der Schmerzen in seinen Knochen und Muskeln regten sich in Gerardo Gefühle, die ihn in Verlegenheit brachten.
Die junge Frau hatte auf den Boden einen kleinen Korb gestellt, aus dem sie ein Leinentuch und einen Krug Wasser holte. Sie tauchte einen Zipfel ins Wasser und begann, Gerardos Gesicht vorsichtig von Schmutz und verkrustetem Blut zu säubern.
»Sie werden mir nichts tun, nur keine Sorge«, sagte sie. »Der Capitano del Popolo hat bei Remigio hohe Schulden und war sehr erfreut, mir diesen Besuch bei Euch im Austausch für einen Brief zu gestatten, der ihm den Erlass dieser Schuld bestätigt.«
»Das durftet Ihr nicht tun!«, rief Gerardo. »Euer Vater …«
»Remigio ist nicht mein Vater«, unterbrach ihn Fiamma heftig. »Das habe ich Euch bereits gesagt. Und außerdem ist er verschwunden, wie Ihr wisst. Wenn er wiederkehrt, falls er je wiederkehrt, kann er meine Entscheidung nur noch zur Kenntnis nehmen. Ich habe seine Unterschrift so gut gefälscht, dass nicht einmal er es bemerken würde.« Nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: »Ich hätte alles getan, um Euch besuchen zu können.«
Gerardo spürte, wie sein Herz bei diesen Worten schneller schlug, doch er blieb stumm. Überrascht bemerkte er, dass die Vorstellung, sein Gelübde zu brechen, ihm auf einmal gar nicht mehr so schrecklich erschien. Vielleicht lag es daran, dass ihm der Tod drohte. Fiamma hatte die Säuberung seines Gesichts beendet, zog ihre Hand zurück und legte das schmutzige
Tuch auf den Boden. Nur bei ihrer heftigen Bemerkung über Remigio hatte sie das Taschentuch vom Mund genommen, sonst hielt sie es sich weiter vors Gesicht.
»Ich habe Euch etwas zu essen und frisches Wasser zum Trinken mitgebracht«, sagte sie und stellte den Korb vor ihn hin. »Bitte, bedient Euch.«
Gerardo holte eine abgedeckte Schüssel hervor, in der sich eine noch lauwarme Suppe befand. Er stürzte sie gierig hinunter und genoss ihren reichhaltigen, würzigen Geschmack. Dann nahm er das große Stück Fleisch am Boden der Schüssel in die Hand und verschlang auch dieses zusammen mit einer Scheibe Brot. Fiamma beobachtete ihn hinter ihrem Tuch beim Essen mit einem Ausdruck, der ihn an seine Mutter erinnerte. Schließlich trank Gerardo die Hälfte des Wassers im Krug und sparte sich den Rest für später auf.
»Danke«, sagte er. »Das tat gut.«
»Kann ich noch etwas für Euch tun?«
Gerardo wollte schon ablehnen, doch jetzt, wo er sich gestärkt hatte, fühlte er sich wacher und kräftiger, und zum ersten Mal kam ihm in den Sinn, in welcher Lage er Hugues de Narbonne zurückgelassen hatte.
»Eines gäbe es da schon, Madonna.«
»Sprecht nur.«
Gerardo erklärte ihr in wenigen Worten, ohne zu sehr auf Einzelheiten einzugehen, dass Hugues in der vergangenen Nacht am Kopf verletzt worden war, Mondino ihn operiert hatte und sie ihn ans Bett fesseln und knebeln mussten, um ihn ruhigzustellen.
»Dann haben wir ihn genau so zurückgelassen, aus Gründen, die ich Euch nicht erklären werde«, sagte er. »Ich gedachte, ihn am Nachmittag zu befreien, nachdem ich mit Eurem Vater gesprochen hatte. Dann wurde ich verhaftet und hatte ihn bis zu diesem Moment vergessen.«
»Wünscht Ihr, dass ich nach ihm sehe?«
Gerardo zögerte. »Wenn keiner zu ihm geht, könnte er sterben. Ich habe mich dort mit meinem Magister verabredet, aber allein kommt er nicht herein. Da ich überzeugt war, ich würde vor ihm dort eintreffen, habe ich ihm nicht gesagt, wo der
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