Das Geheimnis der Alchimistin - Historischer Kriminalroman
Leben wich rasch aus ihr, und sie lag still in ihrem schwarzen Gewand da. Der junge Mann hielt sie noch lange umklammert und machte seinem Schmerz mit Tränen Luft. Dann bettete er sie vorsichtig auf dem alten Altar, den sie sich zum Grab gewählt hatte, und wischte ihr mit einem Rockzipfel
den Speichel und alle anderen Flüssigkeiten ab, mit denen ihr Körper versucht hatte, sich von dem Gift zu befreien. Erst als Gerardo ihr zumindest einen Teil der Schönheit, die sie im Leben ausgezeichnet hatte, zurückgegeben hatte, nahm er sie in den Arm und verließ das Gewölbe, um Mondino zu Hilfe zu eilen. Natürlich hätte er den Capitano del Popolo benachrichtigen können, dass er die beiden Leichen abholen ließ, doch im Augenblick handelte er nicht vernünftig.
Mondino drückte ein Stück Stoff auf die Schulterwunde, um die Blutung zu stoppen, und achtete nicht auf die Proteste und Drohungen von Guido Arlotti, der an Händen und Füßen gefesselt am Boden saß.
»Mein Freund wird sterben«, sagte Guido plötzlich und deutete auf den Mann ohne Ohren, der eine große Wunde am Bauch hatte. »Und auch Ihr lebt nicht mehr lange, wenn Ihr mich nicht Hilfe holen lasst.« Als seine Drohungen erschöpft waren, versuchte Arlotti es mit einem Appell an Mondinos Mitgefühl.
»Lieber verblute ich, als dass ich Euch helfe«, sagte der Arzt. »Daher spart Euch Eure Worte. Seht« - er wies mit dem Kinn in eine Richtung -, »da kommen die Männer des Podestà.«
Am anderen Ende der Gasse waren tatsächlich zwei Häscher in Kriegsuniform erschienen, gefolgt von Pantaleone Buzacarini in Soldatentunika und Lederwams. Hinter ihnen marschierten noch weitere bewaffnete Soldaten. Mondino unterrichtete den Capitano über das, was vorgefallen war, und Pantaleone übernahm sofort das Kommando.
Er warf einen flüchtigen Blick auf die Bauchwunde des Mannes mit den abgeschnittenen Ohren und setzte dessen Leiden mit einem Schwertstreich ein Ende. »Er wäre ohnehin unterwegs gestorben«, erklärte er schulterzuckend. Dann baute er sich vor Guido Arlotti auf.
»Du hast gehört, was Mondino gesagt hat«, meinte er ganz gelassen. »Er beschuldigt dich, du hättest die Gerüchte in die Welt gesetzt, die zu diesem Aufstand geführt haben, und ich sehe keinen Grund, ihm nicht zu glauben.« Guido protestierte, doch der Capitano del Popolo unterbrach ihn mit einer Handbewegung. »Mich interessieren deine Ausreden nicht«, sagte er barsch. »Wenn du jetzt und hier gestehst, wie, aus welchem Grund und für wen du das getan hast, erreichst du das Gefängnis unversehrt. Andernfalls werde ich dir beide Hände abschlagen, ehe ich dich meinen Männern überlasse.«
Ohne Guidos Antwort abzuwarten, gab er einem Häscher ein Zeichen und hob das Schwert, während der Mann diesen an der Schulter packte und der Länge nach zu Boden warf.
»Wartet!«, schrie Arlotti. Es war das erste Mal, dass Mondino Angst in seinen Augen entdeckte. »Ich stehe im Dienst des Inquisitors Uberto da Rimini. Wagt es nicht, mich anzurühren, oder ihr werdet es teuer bezahlen!«
Ehe der Capitano del Popolo etwas erwidern konnte, drehten sich die Soldaten um, und auf einmal herrschte in der Gasse bedrückendes Schweigen. Mondino folgte ihrem Blick und sah Gerardo aus dem eingestürzten Haus hervorkommen. Sein Gesicht wirkte genauso verwirrt wie in der Nacht, als er an sein Arbeitszimmer geklopft hatte. Und wie damals hatte er eine Leiche im Arm.
Gerardo schritt durch die schweigende Menge und trug Fiamma Sensi wie eine Braut. Der Kopf mit den blonden Locken, welche die Narbe verdeckten, ruhte auf seiner Brust, und das schwarze Gewand fiel in weichen Falten zu Boden. In dieser düsteren Umgebung stach ihre Schönheit nur noch deutlicher hervor.
»Ist das die gesuchte Mörderin?«, fragte ein Soldat ungläubig.
»Das ist sie«, bestätigte Gerardo erschöpft. »In dem unterirdischen Gewölbe hinter mir findet Ihr ihr letztes Opfer, Remigio Sensi, den Adoptivvater.«
Der Capitano del Popolo ließ das Schwert sinken, löste sich aus der Erstarrung, die alle Anwesenden befallen zu haben schien, und begann, laute Befehle zu rufen. Er beauftragte drei Männer damit, Guido Arlotti zum Palazzo des Podestà zu bringen, doch erst, nachdem man ihn geknebelt hatte, damit er nicht um Hilfe schrie und noch einmal versuchte, das Volk aufzuwiegeln. Pantaleone warf jedem von ihnen einen strengen Blick zu und drohte, dass sie es mit ihrem Leben bezahlen würden, falls ihnen der Gefangene
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