Das Geheimnis der Alchimistin - Historischer Kriminalroman
Ausgang des Tunnels Stellung bezogen, um seinen Auftrag auszuführen. Es kam jedoch alles anders: Die Opfer hatten sämtliche ihrer Angreifer getötet und waren entkommen. Als Remigio erfuhr, wie die Begegnung abgelaufen war, war er äußerst erschrocken.
»Er befürchtete, dass der Vater des jungen Mannes ihn aufsuchen würde, um Rache für seinen Sohn einzufordern«, berichtete Fiamma spöttisch. »Er war völlig aufgelöst. Ich habe ihm geraten, sich einige Tage in diesem unterirdischen Gewölbe zu verstecken, an einem geheimen Ort, wo niemand ihn je aufspüren würde. In der Zwischenzeit würde ich zum Vater des Toten gehen und versuchen, die Angelegenheit wieder einzurenken. Dieser Dummkopf hat mir sogar noch gedankt.«
Gerardo schüttelte den Kopf. »Aber sobald er hier die Leichen gesehen hat, musste er doch seinen Fehler bemerken.«
Fiamma zuckte mit den Schultern. »Da war es schon zu spät«, sagte sie düster.
Über das unterirdische Gewölbe legte sich ein Schweigen, in dem nur das leise Rauschen des Baches und Remigios Keuchen zu vernehmen waren, während sein Körper sich immer mehr in eine reglose Statue verwandelte. Gerardo hatte nichts mehr zu sagen. Was er nicht wusste, konnte er sich denken. Fiamma hatte ihren Adoptivvater irgendwie in diesem unterirdischen Gewölbe eingesperrt, war nach Hause zurückgekehrt und hatte allen erzählt, dass er verschwunden sei. Dann war er selbst verhaftet worden, und sie hatte ihn im Kerker besucht. Vielleicht, weil sie nicht wollte, dass ein Unschuldiger starb oder um öffentlich bekannt zu machen, was er getan hatte. Sie hatte zu diesem Zeitpunkt bestimmt schon einen Plan erdacht, wie sie Hugues de Narbonne umbringen würde, aber Gerardo hatte ihr die Angelegenheit durch seine Angaben erleichtert.
Gerardo graute vor dem, wozu diese junge Frau fähig war. Und doch war seine Zuneigung größer als seine Angst. Fiamma hatte Schuld auf sich geladen, weil sie sich von ihrem Wunsch nach Rache beherrschen ließ, aber wie viel hatte sie erdulden müssen, ehe sie ihrem Wahnsinn zum Opfer gefallen war! Als er sie betrachtete, wie sie aufrecht vor ihm stand, das blasse, von den blonden Haaren umgebene Gesicht, die Narbe, die ihren Reiz eher noch betonte als ihn zu schmälern, hatte Gerardo nur einen Wunsch: Er wollte sie in seine Arme nehmen und sie mit Küssen bedecken, statt sie zu fesseln und vor den Podestà zu schleppen, wie es eigentlich seine Pflicht gewesen wäre.
Die junge Frau erlöste Gerardo schließlich aus dieser schwierigen Situation. Fiamma stieß Remigio in dem Moment vom Altar, als der Bankier mit einem unterdrückten Seufzer und einem Krampf, der sein Gesicht trotz des betäubenden Trankes zu einer schmerzlichen Fratze verzerrte, starb. Der tote Körper fiel plump wie ein Baumstamm herunter. Dann ergriff die junge Frau mit der freien Hand das bunte Glas, das
neben dem Kopf des Bankiers gestanden hatte, leerte es in einem Zug und legte sich dann selbst auf die Steinplatte.
Die Bedeutung dieser Geste war eindeutig. Gerardo rannte zu ihr, obwohl sie noch den Dolch in der Hand hielt. Er hob ihren Kopf an, wollte sie aufrichten, um sie dazu zu bringen, das Gift wieder zu erbrechen, doch die junge Frau flüsterte so traurig, dass es ihm schier das Herz zerriss: »Es ist zu spät, küss mich bitte.«
Sie schauten einander erst tief in die Augen, dann beugte Gerardo sich über Fiamma und presste seine Lippen auf ihren Mund.
Ursprünglich hatte er es aus purem Mitleid für die Sterbende getan und erwartet, dass es ihn ekeln würde, wenn er eine Mörderin küsste, die so viele schändliche Verbrechen begangen hatte. Doch stattdessen setzte dieser Kuss all die Liebe frei, die beide in sich trugen und die nur darauf gewartet hatte, sich offen zu zeigen. Die Zeit schien stehen zu bleiben; ihre Lippen blieben vereint, ihre Zungen suchten sich, sie umarmten einander leidenschaftlich im Angesicht des Todes. Dann wurde Fiammas Atem unregelmäßig, ihre Hände fielen herab, und das Stilett glitt aus ihrer Hand. Gerardo löste sich unter Tränen von ihr, er murmelte unzusammenhängende Worte, doch sie öffnete ihren Mund zu einem schwachen Lächeln. »Danke«, flüsterte sie und schaute ihm in die Augen.
Dann stöhnte sie, und gelblicher Schaum füllte ihren Mund. Sie wurde von Krämpfen geschüttelt, und es würgte sie, doch Fiamma zwang sich, sich nicht zu übergeben. Kalter Schweiß überzog ihren Körper, während Gerardo ihr Gesicht mit Tränen bedeckte. Das
Weitere Kostenlose Bücher