Das Geheimnis der Alchimistin - Historischer Kriminalroman
verwandelten Herzen.
Mondino war sicher, dass diese grässliche Inszenierung von der Hand eines Menschen und nicht von einer überirdischen Macht stammte. Auf den Knochen des Brustkorbs sah man deutlich Spuren von den Zähnen eines Sägeblatts, und soweit er wusste, bediente sich Satan keiner so gewöhnlichen Mittel. Doch der Mörder musste zweifellos vom Teufel zu seiner Tat getrieben worden sein. Warum hatte er dies getan? Was hoffte er damit zu bewirken?
Mondino hob plötzlich den Kopf, weil er fürchtete, Gerardo könnte seine geistige Abwesenheit nutzen, um ihn zu überwältigen. Doch der junge Mann hatte sich nicht von der Stelle bewegt. Er starrte ihn an, die Hände auf das Pult mit der geneigten Platte gestützt, auf dem der Arzt sonst seine Abschriften der Lehrbücher oder Papier für Aufzeichnungen ablegte.
»Ich habe nicht die Absicht, etwas gegen Euch zu unternehmen, Meister«, sagte der junge Mann, als hätte er Mondinos Gedanken gelesen. »Wenn ich dies gewollt hätte, wäret Ihr schon längst entwaffnet und überwältigt.«
»Versuch es nur, und du wirst eine Überraschung erleben«, erwiderte Mondino, aber er klang keineswegs feindselig.
Seine ganze Aufmerksamkeit war von einem Gedanken erfüllt, der seine Seele vor Neugier und Furcht erbeben ließ. Seinem wissenschaftlichen Verstand war klar, dass der Verwandlung von Angelo da Piczanos Herzen nicht irgendein nebulöser Hexenzauber zugrunde lag, sondern die exakten Künste der Alchimie. Einer fehlgeleiteten Alchimie - daran bestand kein Zweifel. In keinem der Traktate, die er während seines Medizinstudiums gelesen hatte, fand sich der Hinweis auf die Möglichkeit, menschliches Blut in Metall zu verwandeln. Während seiner Ausbildung hatte Mondino sich sogar eine Abschrift des Liber Aneguemis besorgt, die lateinische Übersetzung eines arabischen Manuskripts, das als Standardwerk über die dunkle Seite der Alchimie galt. Doch nicht einmal dort wurde etwas so Furchtbares erwähnt.
Mondinos Gedanken rasten. Wenn er die Formel finden und sie an einer Leiche anwenden könnte, würde sich ihm der gesamte Verlauf der Blutgefäße durch die Organe und Muskeln des menschlichen Körpers enthüllen wie eine detaillierte Landkarte. Dann würde ihm gelingen, was ihm mit dem Seziermesser bislang nicht gelungen war. Und er könnte die magische
Formel in die Abhandlung über Anatomie einfügen, an der er arbeitete, zum Wohl der Medizin und aller lebenden und zukünftigen Ärzte.
Allerdings wäre die Aussicht darauf, sich in eine so finstere, aber gleichzeitig auch faszinierende und bedeutsame Materie zu vertiefen, unwiderruflich dahin, wenn er Gerardo und die Leiche der Inquisition übergab.
Mondino sah wieder den Templer an, der sich immer noch nicht bewegt hatte und ihn jetzt aufmerksam musterte. Der Lehrer spürte ganz deutlich, dass er in dieser Nacht einem völlig anderen Menschen gegenüberstand: Gerardo war nicht mehr der zerstreute Student, wie er ihn bis zum vorigen Tag gekannt hatte.
»Was würdest du tun, wenn ich beschließen würde, dich nicht anzuzeigen?«, fragte ihn Mondino.
Der junge Mann lächelte leicht. Offensichtlich hatte er Mondinos Interesse an der Leiche und ihrem Geheimnis bemerkt und gedachte, dies zu seinem eigenen Vorteil zu nutzen.
»Magister, helft mit, Angelos Leiche verschwinden zu lassen. Ich werde eine Messe für ihn lesen lassen und mich dann mit all meinen Kräften auf die Suche nach seinem Mörder machen«, sagte er so bestimmt, als hätte Mondino bereits die Entscheidung getroffen, sich auf seine Seite zu schlagen.
Und in einem gewissen Sinn, dachte der Arzt erstaunt, war dem genau so. Er sagte sich zwar weiterhin, dass es schändlich und gefährlich war, einen Mord zu decken, aber da Gerardo vorhatte, den Täter zu finden - koste es, was es wolle -, würde letzten Endes doch der Gerechtigkeit Genüge getan. Er dachte an die Gefahren, denen er sich aussetzen würde, für sein Amt als Magister des Studiums , das ihm so viele Opfer abverlangt hatte, und vielleicht auch für seine Familie, sollte er entdeckt werden. Doch jeder Einwand schmolz vor dem leidenschaftlichen Feuer jenes Traums wie Schnee in der Sonne dahin. Die
Vision von der Entdeckung der Formel hatte inzwischen von all seinen Gedanken Besitz ergriffen und ließ ihn nicht mehr los.
Mondino sah Gerardo eindringlich an, legte das Messer auf den Tisch und sagte wider besseres Wissen und unvorsichtigerweise: »Ich werde dir helfen.« Dass er diese
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