0033 - Der Pfähler
In majestätischem, Glanz durchstießen die schneebedeckten Gipfel der Karpaten die grauen Wolkenschleier. Sonnenstrahlen wurden von gewaltigen Gletscherfeldern reflektiert und explodierten zu gleißenden Lichtkaskaden.
Doch die strahlende Schönheit der Gipfelwelt versank ein paar hundert Meter tiefer in den feuchten Wolkenbergen. Hier wurde die Luft kalt und feucht.
Nebelschleier wanden sich wie Bänder um die hohen Tannen, hüllten das saftige Grün in eine undurchsichtige Watteschicht. Die tiefen Wälder mit ihren verwunschenen Orten, zahlreichen Burgen, Schlössern und geheimnisvollen Gräbern, hatten immer wieder Dichter und Schriftsteller angezogen. Es war die geheimnisvolle Landschaft, die die Poeten faszinierte.
Transsylvanien – ein Name, der Schauer erzeugte, der an die Blutnächte eines Grafen Dracula erinnerte, der seine Opfer auf unvorstellbar grausame Weise umgebracht hatte.
Offiziell hatte sich im Laufe der Zeit zwar alles geändert. Mit dem Vampirglauben war aufgeräumt worden, aber unter dem bürokratischen Deckmantel schwelte die Angst weiter.
Die Dörfler wußten genau, daß man die Überfälle der Bösen nicht einfach mit einer Handbewegung abtun konnte. Die Blutsauger ließen sich nicht verspotten, sie lebten weiter.
Ein untotes, ein schreckliches Leben. Wer wußte schon genau, was sich unter den zahlreichen Grabhügeln verbarg? Welche Gestalten auf ihre Auferstehung warteten, um das Rad der Zeit zurückzudrehen. Angst und Schrecken sollten wie früher die Menschen beherrschen.
Noch immer fürchteten sich zahlreiche Menschen vor der Dunkelheit, sahen zu, daß sie vor Einbruch der Dämmerung in ihre Häuser kamen. Fenster und Türen wurden verriegelt, damit das Böse vorbeigehen sollte.
Knoblauch wurde gehortet. Oft gingen mutige Männer um Mitternacht in die Wälder und schnitten starke Eichenäste von den Bäumen. Die Äste wurden vorn zugespitzt und als vampirtötende Pfähle verwahrt. Kreuze, Amulette und geweihtes Silber wurden verwahrt, um sich in Notfällen verteidigen zu können.
Dracula war tot, aber er hatte viele Nachahmer und Nachkommen. Mit ihm hatte die Vampirflut begonnen. Trotz aller Gegenaussagen. Die Einheimischen wußten es besser. Grausam hatte der Graf geherrscht. Unbeschreiblich waren seine blutigen Taten. Flüsternd gingen die Sagen und Legenden von Mund zu Mund. Die Väter erzählten sie ihren Söhnen, die wiederum gaben sie an ihre Kinder weiter. Und so hielt sich der Glaube an das Böse in den einsamen Orten der wildromantischen Gebirgslandschaft.
Kriege hatten das Land erschüttert. Die einst so stolzen Burgen waren in Schutt und Asche gelegt worden, und nur noch Fragmente erinnerten an eine wilde Vergangenheit.
Aber gerade diese geheimnisvollen Burgen und Schlösser waren die düsteren Orte, in denen die Vampire ihre Opfer fanden. Oft gehörte der Schloßherr selbst zu den Blutsaugern, lockte die jungen Dorfschönheiten auf sein Schloß, um anschließend mit ihnen in den dunklen Gewölben unter der Erde zu verschwinden.
Tagsüber sah man die Mädchen nie mehr. Doch nachts streunten die bleichen, blutleeren Gestalten in hellen, wallenden Gewändern durch den Wald, um ebenfalls nach Opfern zu suchen.
Aber es gab auch mutige Männer, die dem Vampirterror entgegentraten. Unter dem Zeichen des Kreuzes sagten sie ihnen den Kampf an. Gruppenweise zogen sie in mondhellen Nächten los, bewaffnet mit angespitzten Eichenpfählen, Weihwasserkesseln und silbernen Kreuzen.
Sie hatten viele Vampire getötet, doch einige überlebten. Sie vegetierten in finsteren Gräbern und Grüften dahin, warteten auf ihre Stunde.
Es gab Mahner und Weise, die dies wußten und immer wieder vor der Gefahr warnten, jedoch nicht ernst genommen wurden. Von den offiziellen Stellen wurden sie sogar verfolgt und wenn es besonders schlimm kam, ins Gefängnis gesteckt.
So sorgten die Menschen dafür, daß einige Blutsauger die Zeiten überstanden und nur darauf warteten, wieder aktiv werden zu können…
***
Es war in einer hellen Mondnacht, als Petroc Jurc plötzlich aus dem Schlaf schreckte.
Verwirrt richtete er sich im Bett auf. Er schaute direkt auf das schmale Fenster seiner Dachkammer, blickte durch die Scheibe und sah den Vollmond wie eine helle Kugel am Himmel stehen.
Sein Licht fiel in den Raum, streifte das Bett und hatte den dreißigjährigen Mann geweckt.
Aber war es tatsächlich nur der Mond gewesen? Oder steckte etwas anderes dahinter?
Petroc Jurc runzelte die Stirn. Sein
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