Das Geheimnis der Götter
wurden und die wir hier nicht im Detail beschreiben können. Zentrales Thema: die Verwandlung von Materie in Geist, auf dem Umweg der Verwandlung von Stroh zu Gold, einer Statue in einen lebenden Stein, der rituellen Formel in ein mächtiges Wort. Der Körper des Osiris bestand aus gereinigten und verwandelten Metallen, die wiederum von den Sternen stammten. Damit war der göttliche Ursprung des Seins erwiesen. Dachte nicht auch der Astrophysiker Fred Hoyle, das Leben komme aus dem Weltraum?
Wäre Abydos nicht von zahlreichen Plünderern
unterschiedlicher Herkunft verwüstet worden, könnten wir dort noch den heiligen Wald sehen, in dessen Schatten das Grab des Osiris lag, und die große Akazie, in der Leben und Tod sich vereinten. Sie war mit Gold bedeckt und wurzelte in einem Ozean aus Energie, der Quelle aller Lebensformen, und lieferte den Gerechtfertigten das Wasser der Erneuerung. Als reines Wasser, das sich selbst erneuerte und das Überleben garantierte, hält das Wasser des Osiris die unentbehrliche Kohärenz zwischen den konstitutiven Elementen des Lebens aufrecht.
Das Wasser, dieses tägliche Wunder, das wir vielleicht nicht werden schützen können – Osiris ist im Besitz seines Geheimnisses. Sein Wasser des Lebens fand vor allem Ausdruck im Hochwasser, das heute vom Assuan-Staudamm gebändigt wird. Und außerdem feierte man den
wiederauferstandenen Gott in der zweifachen Form von Brot und Wein, eine Symbolik, von der sich später das Christentum inspirieren ließ.
Der Tempel des Osiris, der wieder in die Nacht und das Schweigen zurückkehrt, wirkt weiter aus sich selbst heraus, ohne die Gegenwart von Sterblichen. Die Basreliefs werden lebendig, die Hieroglyphen feiern die Riten, das Mysterium vollendet und perpetuiert sich.
Früher gab es rund um das Heiligtum keinen Friedhof, sondern Stelen, auf denen die Namen der Anhänger des Osiris in Erinnerung gerufen wurden. Sie sind über die ganze Welt verstreut, viele schlummern im Exil in den Lagern der Museen. Zu der Zeit, als der Wiederauferstandene herrschte, gab es hier keine lärmenden und demonstrativen Pilgerfahrten. In dieser Nekropole ohne Leichen vereinigten sich die Seelen der Gerechtfertigten mit Hilfe verwandelter Monumente. Warum der Tod? Weil er eine Pforte ist, der zu einer anderen Form von Realität Zugang verschafft, lautet die Antwort der Lehre des Osiris. Solange man nicht »den Tod stirbt«, solange man Aufrichtigkeit praktiziert und die Formeln des Übergangs kennt, erscheint ein neues Wesen. Und vor allem wird der Tod dann zu einer neuen Quelle des Lebens.
Laut Kapitel 175 des Totenbuches wird unser Universum zugrunde gehen und in den Ozean des Ursprungs
zurückkehren. Nichts wird überdauern, nur Osiris, denn er ist vollkommen zum »Lichtgeist« geworden. Und der
neuplatonische Philosoph Jamblique setzt noch hinzu, wenn die wohltuende Kraft des Osiris intakt und rein bleibe, so bleiben die Teile des Ganzen in ihrer Ordnung erhalten. Sind die Mysterien des Osiris nicht immer noch ein vitaler Orientierungspunkt für all diejenigen, die sich, heute wie gestern, die wesentlichen Fragen stellen?
(1) Claude Aveline, La Promenade égyptienne, Paris (EmilePaul), 1934. (2) Textes des pyramides , 1439c. Zum gesamten Korpus siehe: C. Jacq, La Tradition primordiale de l’Egypte ancienne, selon des »Textes des pyramides«, Paris (Grasset), 1998. (3) Franz. Übersetzung von Gustave Lefebvre.
(4) Textes des pyramides, 1467a.
(5) Siegfried Morenz, La Religion égyptienne, Paris (Payot), 1962, S. 273.
(6) Totenbuch, Kapitel 26 und 41.
(7) My Heart my Mother, Rottingdean (East Sussex), 2000, S. 34.
(8) Sylvie Cauville, Le Zodiaque d’Osiris, Louvain (Peeters), 1997.
(9) Jan Assman, Maat, l’Egypte pharaonique et Vidée de justice sociale, Fuveua (Editions de la Maison de Vie), 1999, S. 73.
Aus dem Französischen von Michaela Meßner
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Nachwort Die Mysterien des Osiris
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