Das Geheimnis der Götter
die Geheimnisse des Himmels und der Erde. Verehrungswürdiger Lichtspross ist sie die Pupille des Auges des Schöpfers. Horus wird aus der Vereinigung von einem Stern und dem alchemistischen Feuer geboren.«
Isis und Nephthys zogen sich Kleider an, an denen große bunte Flügel befestigt waren. Gemeinsam mit dem König gingen sie zu Iker zurück und schlugen gleichmäßig mit diesen Flügeln, um dem Erwachenden frische Luft zuzufächeln.
»Man hat dir deine Knochen zurückgebracht«, sagte die Schwester zu ihrem Bruder, »und deine Körperteile wurden wieder zusammengesetzt. Deine Augen haben sich geöffnet. Sieh das Leben, sterbe nicht den Tod. Er ist dabei, dich zu verlassen und sich von dir zu entfernen. Du warst bereits so gut wie tot, aber für den Herrn der Einheit wirst du länger als die Enneade leben – gesund und munter.«
Isis nahm das Zepter zur Hand, das sie aus der zweiten Provinz Unterägyptens mitgebracht hatte. Die drei Lederriemen, Zeichen für die verschiedenen Häute der dreifachen Geburt, sollten den Osiris Iker ins Licht zurückführen.
»Das Licht soll dich beleben«, befahl der König und berührte die Nase des Königlichen Sohnes mit dem Ende des Lebensschlüssels, dem Zepter der Entfaltung und dem Pfeiler der Beständigkeit.
Eine glühend rote Sonne übergoss die Mumie mit ihren Strahlen.
»Die Tore des Sarkophags öffnen sich«, verkündete Isis.
»Geb, der König der Götter, lässt deine Augen wieder sehen. Und er streckt deine Beine aus, die eingeschlagen waren. Anubis gibt deinen Knien neue Kraft, du kannst dich auf sie stützen. Die starke Sechmet richtet dich auf. Mit Hilfe deines Herzens kommst du wieder zu Bewusstsein, du weißt wieder, wie du Arme und Beine bewegen musst, du erfüllst den Willen deines ka.«
Der Himmel über Abydos verfärbte sich lapislazuliblau, türkisgrüne Strahlen beleuchteten das Große Land. Die Akazie des Osiris, der Baum des Lebens, wirkte mit einem Mal riesengroß, schien bis zum Himmel zu reichen, und war mit Tausenden weißer Blüten bedeckt, die einen göttlich süßen Duft verströmten.
Der Goldene Kreis versammelte sich um den auferstandenen Osiris. Im Osten das königliche Paar, Isis und Iker, der endlich zu dieser Bruderschaft gehörte, von der er so lange geträumt hatte; im Westen standen der Kahle und Sekari; im Norden Nesmontu und Sehotep und im Süden Senânkh.
Der Pharao beging die unsichtbare und dennoch wirkliche Gegenwart von Chnum-Hotep, Djehuti und General Sepi und erinnerte an das Gesetz, das seit Anbeginn unverändert war.
»Das Einzige, was zählt, ist die Lebensaufgabe, die jedem Mitglied dieses Kreises anvertraut ist. Und diese besteht nicht darin zu predigen, zu bekehren oder eine einzige Wahrheit und ihre Lehrsätze zu verbreiten, sondern sie verlangt redliches Handeln.«
Die Bruderschaft brachte die versiegelte Schale und den verwandelten Osiris in seine ewige Ruhestätte, deren Eingang nach Westen zeigte.
Das Große Werk wurde auf eine Basaltliege gebettet, die aus zwei Löwenkörpern bestand – Zeichen für gestern und heute. Zwei Falken bewachten den Kopf und die Füße. Der Herr des Schweigens blieb jetzt bis zum nächsten Monat Khoiak hier. Bei der Mysterienfeier würden die Erleuchteten von Abydos dann erneut versuchen, ihn ins Leben zurückzuholen. Außer Sesostris, Isis und Iker verließen alle Mitglieder des Goldenen Kreises das Grab.
Der Pharao betrachtete das Tor zum Jenseits.
»Nachdem Iker gegangen war, ist er wieder
zurückgekommen. Nur Osiris kann auferstehen, aber einige Menschen dürfen sich verwandeln. Heute hat der Königliche Sohn die Möglichkeit zu gehen und wiederzukommen. Was möchtest du, Isis?«
»Wir wollen für immer zusammenleben, nie wieder getrennt werden und friedlich, Seite an Seite, vor allem Bösen beschützt ruhen. Hand in Hand werden wir die Schwelle zur Ewigkeit überschreiten und das Licht in ebendem Augenblick sehen, in dem es wiedergeboren wird.«
»Dann muss der Osiris Iker durch dieses Tor gehen«, sagte Sesostris. »Begleitest du ihn, verhinderst du seinen Tod. Doch auch wenn du den Weg des Feuers gegangen bist, kann es sein, dass du dabei zugrunde gehst. Die Entscheidung liegt bei dir.«
MONAT THOT
Erster Tag (20. Juli)
MEMPHIS
Die Nilschwemme verlief unter dem Schutz eines funkelnden Sothis und genährt von den Tränen der Isis über die Maßen gut. Das neue Jahr verhieß Glück und Wohlstand. Ganz allmählich erholte sich der Wesir von seiner Einweihung in
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