Das Geheimnis Der GroÃ?en Schwerter / Die Nornenkönigin: Bd 3
blutleeren Hoffnungen. Und für jede Hoffnung, die einen kurzen Schmetterlingsflug in der Sonne erleben durfte, gab es eine Million tot geborener.
Also trank ich und beschimpfte die Sterne und trank noch mehr. Meine Trunkenheit warf mich in einen tiefen Abgrund der Verzweiflung, und meine Bücher, vor allem das, mit dem ich mich damals am meisten beschäftigte, vergrößerten nur noch meine Angst. Immer wünschenswerter schien mir das Vergessen. Bald war ich dort, wo sich früher alle meine Freunde genannt hatten, nicht mehr willkommen, was mich nur noch bitterer machte. Als die Hüter der Tethtain-Bibliothek mir mitteilten, dass mir ihre Türen nicht länger offenstünden, versank ich in einen tiefen Abgrund, eine Orgie schwarzer Betäubung, die ein ganzes Jahr dauerte. Als ich wieder zu mir kam, fand ich mich in einem Straßengraben in der Nähe von Abaingeat, nackt und ohne ein einziges Cintis-Stück. Nur mit Dornen und Blättern bekleidet wie der niedrigste Bettler, schlich ich mich nachts zum Haus eines Edelmanns, den ich kannte. Er war ein guter Mensch, ein Liebhaber der Gelehrsamkeit. Von Zeit zu Zeit hatte er mich bereitwillig unterstützt. Er ließ mich ein und gab mir zu essen und ein Nachtlager. Bei Sonnenaufgang reichte er mir eine Mönchskutte, dieseinem Bruder gehört hatte, und wünschte mir viel Glück und eine gute Reise.
Es lag Abscheu in seinem Blick an diesem Morgen. Herrin, eine Art Ekel, von dem ich hoffe, dass Ihr ihm in den Augen anderer nie begegnet. Ihr müsst wissen, er kannte meine Gewohnheiten, und mein Märchen von Entführung und Beraubung täuschte ihn nicht. Als sich seine Tür hinter mir schloss, wusste ich, dass ich die Mauern, mit denen meine Mitmenschen sich umgaben, hinter mir gelassen hatte und nun unrein war wie ein Pestkranker. Denn meine ganze Trinkerei und alle meine Missetaten hatten nur eines bewirkt: Sie hatten den Fluch, der auf mir lag, für andere so deutlich erkennbar gemacht, wie er es für mich selbst schon seit langem war.«
Cadrachs Stimme, die bei diesem Bericht immer unversöhnlicher geworden war, erstarb in einem heiseren Wispern. Lange lauschte Miriamel seinem Atmen und wusste nicht, was sie ihm sagen sollte.
Endlich versuchte sie es mit einer Frage. »Aber was habt Ihr nun wirklich verbrochen? Ihr sagt, Ihr wärt verflucht, aber Ihr hattet doch gar nichts Böses getan – außer natürlich zu viel Wein zu trinken.«
Cadrachs Lachen klang unangenehm, wie geborsten. »Oh, der Wein sollte ja nur den Schmerz betäuben. So ist das mit diesen Flecken, Herrin. Auch wenn andere, vor allem Unschuldige wie Ihr, sie nicht immer sehen können, sind sie trotzdem da, und die anderen Menschen spüren sie, so wie wilde Tiere es spüren, wenn eines von ihnen krank oder wahnsinnig ist. Ihr wolltet mich doch auch ertränken, oder nicht?«
»Aber das war doch etwas ganz anderes!«, rief Miriamel empört. »Das war für etwas, das Ihr wirklich getan habt!«
»Keine Sorge«, murmelte der Mönch. »Seit der Nacht an der Straße von Abaingeat habe ich genug auf dem Kerbholz, um jede Art von Strafe zu verdienen.«
Miriamel zog die Ruder ein. »Ist es hier seicht genug zum Ankern?«, fragte sie und bemühte sich, mit ruhiger Stimme zu sprechen. »Meine Arme sind müde.«
»Ich werde es prüfen.«
Während der Mönch den Anker aus dem Stauraum zog und sichvergewisserte, dass das Tau fest am Boot saß, zerbrach sich Miriamel den Kopf, wie sie ihm helfen könnte. Je mehr er sich offenbarte, desto tiefer erschienen ihr seine Wunden. Seine frühere gute Laune, das fühlte sie, war nichts als eine dünne Haut, die über die offenen Stellen gewachsen war. War es besser, wenn er sprach, obwohl es ihm sichtlich wehtat, oder sollte er besser einfach schweigen? Miriamel wünschte sich, Geloë wäre bei ihr oder der kleine Binabik, der so klug und feinfühlig an alles heranging.
Als der Anker klatschend über Bord gegangen und das Tau ihm in die Tiefe gefolgt war, saßen die beiden eine Zeitlang stumm beisammen. Endlich fing Cadrach wieder an, und seine Stimme klang etwas leichter als vorher.
»Die Schnur hat sich nur etwa zwanzig Ellen abgewickelt, bevor sie den Boden berührte. Vielleicht sind wir der Küste näher, als ich dachte. Trotzdem solltet Ihr versuchen, noch etwas zu schlafen, Miriamel. Wir haben morgen einen langen Tag. Wenn wir bis ans Land kommen wollen, müssen wir uns beim Rudern abwechseln, um den ganzen Tag in Bewegung zu bleiben.«
»Könnte es hier nicht
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