Das Geheimnis der italienischen Braut
auf, ihre Mutter daran zu erinnern, dass sie nur das Datum ihrer Ankunft mitgeteilt hatte, aber keine genaue Uhrzeit. Lisa hatte bestimmte Erwartungen und reagierte ungehalten, wenn jemand es wagte, sie nicht zu erfüllen. Jackie hatte sich längst damit abgefunden, dass sie trotz ihrer erfolgreichen Karriere in den dunklen Abgründen Lisa Firenzis Seele für immer mit dem Etikett des Problemkinds behaftet war.
Ihre Mutter sah noch genauso aus wie bei Jackies letztem Besuch. Sie strahlte immer nach wie vor diese natürliche Eleganz aus, mit der sie als Topmodel den Clean Chic, also den Modestil, der durch seinen nüchternen, klaren Look gekennzeichnet war, mühelos verkörpert hatte, wie ihn einige Designer so meisterhaft kreierten. Sie trug ein bezauberndes Designer-Outfit und hatte das schwarze Haar wie üblich hochgesteckt.
Aus dem Schlafzimmer und dem angrenzenden Ankleideraum ertönte aufgeregtes Geschnatter von drei jungen Frauen, die Jackies Ankunft zunächst gar nicht wahrnahmen.
Doch dann sah Lizzie auf und erblickte sie. Sogleich eilte sie in einem traumhaft schönen zweiteiligen Brautkleid mit einer Korsage aus Spitze und einem mehrlagigen Rock aus schimmerndem glänzendem Satin und feinem Organza auf sie zu und umarmte sie herzlich.
„Deine Schwester hat sich doch noch herabgelassen, rechtzeitig zu erscheinen“, verkündete ihre Mutter.
Jackie schloss sekundenlang die Augen und ignorierte die Bemerkung. Es ging also um die Anprobe. Ihre Mutter hätte sich nicht aufzuregen brauchen, denn sie hatte vor zwei Wochen ihre Maße per E-Mail mitgeteilt, die sich dank des Fitnessprogramms, das sie regelmäßig absolvierte, nie veränderten.
„Wir kennen ja unsere Jackie und wissen, dass sie ihre eigenen Zeitbegriffe hat“, fügte ihre Mutter hinzu.
Ah ja, das war es. Ihre Mutter ärgerte sich immer noch darüber, dass sie ihren Wunsch ignoriert und nicht schon am Tag zuvor angereist war. Doch sie hatte sich die viel zu wichtige Modenschau in Paris nicht entgehen lassen wollen. Gerade ihre Mutter musste wissen, wie unbarmherzig es in dieser Branche zuging. Eine kleine Nachlässigkeit, ein kleiner Ausrutscher, und schon war man weg vom Fenster.
Am liebsten hätte sie ihre Mutter aufgefordert, sich um ihre eigenen Angelegenheiten zu kümmern. Es war jedoch der falsche Zeitpunkt für eine Auseinandersetzung. Sie wollte niemandem die gute Laune während der Hochzeitsvorbereitungen verderben.
„Wir haben uns viel zu lange nicht gesehen, Lizzie“, sagte sie rau und erwiderte die Umarmung.
Dann löste sie sich von ihrer Schwester und versuchte, die Bemerkung ihrer Mutter zu vergessen. Aber der Stachel saß zu tief.
Lizzie wirkte so glücklich und entspannt wie noch nie. Wenn ihr zukünftiger Mann Jack Lewis dafür verantwortlich ist, dann hoffe ich, dass es so bleibt, dachte Jackie.
„Das Kleid ist traumhaft schön.“ Sie betrachtete ihre Schwester bewundernd. Es passte nicht nur perfekt, sondern betonte auch ihre Persönlichkeit, was bewies, dass ein wahrer Künstler am Werk gewesen war.
Schließlich begrüßte sie auch Isabella und küsste sie flüchtig auf die Wange, ehe sie sich an ihre jüngere Schwester Scarlett wandte und eine Umarmung andeutete.
Früher hatten sie sich sehr nahegestanden, besonders nachdem Lizzie nach Australien gegangen war, um dort zu studieren. Das hatte sich allerdings in dem Sommer geändert, als Jackie schwanger geworden war. Scarlett hatte sich immer mehr zurückgezogen, was eigentlich nicht verwunderlich war, denn Jackie hatte fast nur noch geweint. Und ihre Mutter hatte entweder laut und vernehmlich geschimpft oder sie kühl und abweisend behandelt. Es hatte eine schreckliche Atmosphäre geherrscht.
Sie hatten keine Gelegenheit mehr gehabt, sich auszusprechen und alles wieder in Ordnung zu bringen, denn Scarlett war Lizzies Beispiel gefolgt und hatte sich entschlossen, bei ihrem Vater zu leben. Danach hatten sie nur noch wenig Kontakt miteinander gehabt und sich fünf Jahre nicht gesehen.
Jackie betrachtete Scarlett genauer. Sie hatte sich nicht allzu sehr verändert, außer dass sie älter geworden war und ihrer Mutter immer ähnlicher sah. Jedenfalls hatte sie denselben harten Blick, der jedoch durch das bezaubernde Lächeln gemildert wurde, das sie offenbar nicht verloren hatte.
Lizzie hingegen war viel zu aufgeregt, um zu merken, was sich da unterschwellig zwischen ihren jüngeren Schwestern abspielte.
„Zieht euch um, meine Lieben! Ich will doch wissen, wie
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