0673 - Angelique, die Vampirin
Minuten später, eine Ewigkeit, lehnte sie sich in irgendeiner Seitenstraße an eine Hauswand. Sie wußte nicht, wo ihre Begegnung mit dem Feind stattgefunden hatte, sie wußte nicht, wie sie vom Ort dieser Begegnung hierher in diese Straße gelangt war. Ihre Erinnerung setzte hier einfach aus.
Sie wußte nur, daß Stygia, die Fürstin der Finsternis, sie zu ihrem Feind gebracht hatte. Angelique Cascal sollte Stygia einen Gefallen tun…
Diesen Gefallen hatte sie ihr sogar gern getan.
Sie hatte den Mann schon einmal gesehen. Auf der Straße vor dem Haus mit ihrer Wohnung. Den Mann, der auf sie geschossen hatte! Der an ihrer Haustür gelauert hatte…
Yves' Feind!
Ihr Feind!
Sie schlug ihre Vampirzähne in seinen Hals, um sein Blut zu trinken.
Der entsetzliche, grauenhafte Durst, der sie wochenlang gequält hatte, wurde endlich gestillt. Eine unendlich tiefe Erleichterung erfüllte sie.
Daß sie den Vampirkeim nunmehr weitertrug, berührte sie nicht.
Daß das Blut dieses Mannes etwas schwarz schmeckte, war schon ärgerlicher. Es erinnerte sie an das Blut des Asmodis. Aber das hier war frischer, süßer. Es verursachte keine Übelkeit.
Dennoch hielt sie sich zurück. Nicht zuviel auf einmal… denn eigentlich hatte sie es nie gewollt. Wochenlang hatte sie gegen den Vampirkeim in ihr angekämpft, hatte die Qual des Durstes ertragen, der immer stärker und stärker geworden war. Durch Professor Zamorra und die anderen Freunde wußte sie nur zu gut, was sie erwartete, wenn sie nachgab - dann war sie endgültig verloren.
Und doch hatte sie es nun getan.
Und dabei bemerkte sie nicht einmal, daß sie es unter dem Einfluß Stygias getan hatte. Die Fürstin der Finsternis hatte Angelique unter ihre Kontrolle gezwungen und sie zu ihrem Werkzeug gemacht.
Durch die Macht der Dämonenfürstin wurde Angelique der Kontrolle des Vampirs entzogen, der den Keim in sie gepflanzt hatte. An Tan Morano dachte sie nicht mehr.
***
Aber Tan Morano dachte an sie.
Was jetzt geschah, hatte er nicht gewollt.
Der Verlauf der Dinge war ihm völlig aus dem Ruder gelaufen. Ursprünglich hatte er Angelique Cascal mit dem Vampirkeim infiziert, um ihren Bruder Ombre unter Druck zu setzen. Ombre sollte gezwungen werden, mit seinem Ju-Ju-Stab Lucifuge Rofocale zu töten…
Danach hätte Morano sie wieder von diesem Keim befreit.
Er war dazu durchaus in der Lage.
Aber alles ging schief. Angelique ergriff die Flucht. Sie entzog sich Morano. Statt dessen machte Ombre Jagd auf ihn.
Aber jetzt spürte Morano, daß etwas noch anderes, Schlimmeres geschehen war. Eine andere dämonische Macht hatte die Kontrolle über Angelique Cascal übernommen! Und dabei zerstörte sie alles, was Morano selbst vielleicht immer noch hätte retten können.
Denn eigentlich wollte er gar nicht, daß Angelique eine Vampirin wurde. Er hatte schon längst, seit Jahrhunderten und mehr, ganz andere Interessen, als den Bestand der Blutsauger zu vergrößern. Wenn er einen Menschen zum Vampir machte, dann aus eher ›politischem Gründen‹ und nicht nur des Durstes wegen.
Die fremde Kontrollmacht war offensichtlich die Fürstin der Finsternis.
Morano lächelte kalt. Er war durchaus bereit, sich mit ihr anzulegen. Er wollte keinen weiteren Krieg an weiterer Front, aber er konnte diesen Krieg durchaus führen, wenn er es mußte. Ob Stygia das ihrerseits konnte, war fraglich. Ihre Position war durchaus nicht so gefestigt, wie es auf den ersten Blick schien, trotz der Veränderungen in der Rangordnung der Schwarzen Familie.
Denn Lucifuge Rofocales Nachfolger Astardis, dem Morano eine herzliche Abneigung entgegenbrachte, wollte ihr bei weitem nicht so viele Kompetenzen und Macht zugestehen, wie es früher der Fall gewesen war. Was ein Asmodis sich über die Jahrtausende erkämpft hatte, drohte Stygia jetzt zu verlieren.
Aber Tan Morano ging seine eigenen Wege. Der alte Vampir mochte es' nicht, wenn ihm jemand in seine Pläne pfuschte. Und genau das geschah jetzt. Stygia hatte ihm Angelique abspenstig gemacht und vor allem sie soweit getrieben, daß eine Umkehr des Vampirismus nicht mehr möglich erschien.
So etwas ließ sich einer wie Morano nicht gefallen.
***
»Ich hätte ihn doch erschießen sollen«, murmelte Yves Cascal und ließ sich auf einen Stuhl in der kleinen Wohnküche fallen. »Wenn du etwas trinken oder essen willst, Zamorra, bedien dich - irgendwo muß Angelique auch noch eine Flasche Wein stehen haben, falls du…«
Der Meister des
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