Das Geheimnis der Monduhr: Roman (German Edition)
Werkbank, wo man beides leicht finden würde. Nachdenklich betrachtete sie den Kasten und tippte mit ihrem von Arthritis gezeichneten Finger darauf. »Ich bin bereit, den Handel abzuschließen«, sagte sie.
Den weißen Umschlag legte sie behutsam obenauf. Der Brief hätte auch ein Pakt mit dem Teufel sein können, aber auf wundersame Weise hatte die Monduhr einen Pakt daraus gemacht, der, wie Jocelyn wusste, schon zusammen mit ihrem Schicksal besiegelt war.
Jocelyn schloss das Atelier und das Haus hinter sich ab, bevor sie Billy von seiner Arbeit aufscheuchte, um sich nach Hause fahren zu lassen. Ein geradezu beglückendes Gefühl der Erleichterung erfasste sie, je weiter sie sich vom Torhaus entfernte und die letzten Reste ihrer Schuld hinter sich ließ. Nicht für lange, dachte sie, als sie sich vorstellte, was sie zu Hause erwartete. Auf dem kleinen Bistrotisch
lag alles bereit. Die Tabletten, die Flasche Wodka und die Fotos der Menschen, die ihr etwas bedeuteten und die das Letzte sein sollten, auf das ihr Blick jemals fallen würde. Jocelyn war im Begriff, die Rechnung zu begleichen.
Meine liebste Holly,
ich nehme an, dass du dich fragst, was um Himmels willen passiert ist, oder vielleicht eher, warum man im Dorf den Tod einer törichten alten Frau statt den einer jungen Mutter betrauert.
Eine Geburt ist für jede Frau ein einschneidendes Erlebnis, aber ich denke, dir wird es noch ein bisschen schwerer fallen, dich an die neue Lebensphase zu gewöhnen. Du wirst mir böse sein und dich gleichzeitig schuldig fühlen. du wirst glauben, einem anderen Menschen das Recht auf Leben genommen zu haben. Ich wollte, ich könnte die rechten Worte finden, um es dir auszureden, aber ich kann nur sagen, du brauchst wirklich kein schlechtes Gewissen zu haben! Ich habe mein halbes Leben damit vergeudet, mich mit Schuldgefühlen zu quälen, das möchte ich dir ersparen. Wir beide wissen, dass die Monduhr Leben gegen Leben verrechnet – aber es muss nicht unbedingt deins sein oder Libbys oder Toms. Warum dann also nicht meins? Will ich tatsächlich meinen Lebensabend mit diesen eingerosteten Gelenken im bettlägerigen Zustand verbringen? Für mich ist das eine schlimmere Vorstellung als der Tod.
Manchmal blicke ich hinauf zum Vollmond, und er kommt mir vor wie das Sinnbild meines Lebens. Er stiehlt sich das Sonnenlicht des vergangenen Tages, so wie ich
einem anderen Menschen das Leben gestohlen habe. Und zur Strafe konnte mein eigenes Leben nicht hell genug leuchten. Bis du aufgetaucht bist.
Dein Schicksal wird anders aussehen, weil ich dir dieses Geschenk mache. Ein Geschenk, das von Herzen kommt und bei dem die Monduhr, wie du dir denken kannst, ihre Hand im Spiel hat.
Ich sitze, während ich diesen Brief schreibe, an deinem Küchentisch. Heute ist der Abend, an dem deine Skulptur im Gemeindesaal enthüllt wird, und Tom und du, ihr feiert sicherlich noch bis nach Mitternacht. Der Vollmond scheint durchs Fenster und zwinkert mir dann und wann zu.
Ich wollte, du könntest mich hier sitzen sehen, aber sei versichert, mir ist nicht schwer ums Herz, ganz im Gegenteil. Heute Nacht habe ich die Monduhr ein letztes Mal befragt, und ich sah für einen Augenblick das gleiche Bild von der Zukunft wie du, mit einem trauernden Tom, der dich schrecklich vermisst. Ich war schon lange bereit, mein Leben für deins zu opfern, doch wie du ja weißt, hat die Monduhr ihre eigenen Regeln. Die Rechnung geht nur auf, wenn jemand aus der Familie sein Leben opfert. Sieh dir noch einmal deine Skulptur an, Holly. Das bist du mit Libby im Arm, aber der Sockel aus schwarzem Marmor, die Mutter, auf die man bauen kann und die dir als Kind gefehlt hat, die will ich für dich sein. Ich habe dir immer wieder gesagt, dass du wie eine Tochter für mich bist, und Gott sei Dank hat die Monduhr es heute Nacht bestätigt.
Ich brauchte nur einen Blick auf Libby zu werfen, dieses
niedliche Geschöpf, das seine Mutter verlieren würde, und mein Entschluss stand fest. Und die Monduhr ist darauf eingegangen. Mein Leben gegen dein Leben. Eine Mutter opfert ihr Leben für ihre Tochter. Kommt dir bekannt vor, oder? In dem Augenblick, als mir klar wurde, dass ich den Handel machen wollte und konnte, entfaltete sich vor meinen Augen mit einem Mal ein Zukunftsbild, von dem wir beide nie zu träumen gewagt hätten. Holly, der Anblick, wie ihr zu dritt so glücklich vereint wart, war wunderschön. Natürlich hättest du versucht, mich daran zu hindern, meinen Plan in
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